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Norbert Gstrein blickt wieder auf den Balkan und in die Vergangenheit.

Dass Norbert Gstrein zu den wichtigsten österreichischen Autoren der Gegenwart gehört, ist unumstritten, selbst wenn über seine Bücher aus unterschiedlichsten Gründen auch gestritten wurde. Gstrein versteht sein Handwerk und entwickelte von Anfang an eine eigene Sprache, mit der er versuchte, die Grenze zwischen dem Sagbaren und dem Unsagbaren zu verschieben - wie er selbst es in Interviews ausdrückte. Er hat auch keine Scheu, heikle Themen anzugehen, wie etwa im Roman "Die englischen Jahre", in dem er die fiktive Biographie eines "gefälschten" Juden schrieb.

Schießstand im Keller

In seinem soeben erschienenen Roman "Die Winter im Süden" wendet sich Gstrein wie in seinem letzten, "Das Handwerk des Tötens", wieder dem Balkan zu und der Vergangenheit. Wieder wagt er eine heikle Thematik, die eindeutige Parteinahmen zu fordern scheint, deren Diskussion aber oft in Vorurteilen und Klischees gefangen bleibt.

Das Netz, das sich dieses Mal über Kontinente spannt, knüpft er nicht nur mit Geschehnissen des 20. Jahrhunderts, sondern vor allem durch die Figuren. Die einundfünfzigjährige Marija verlässt 1991 "nur für einen Sommer" ihren Mann und Wien und geht kurz vor Ausbruch des Krieges nach Zagreb, in ihre Heimat, die sie mit der Mutter als Kind verlassen musste. Dort vergehen die Tage und Wochen, und während Marija worauf auch immer wartet, mehren sich die Anzeichen des Krieges. 45 Jahre lang hat Marija ihren Vater für tot gehalten, da erscheinen auf einmal Anzeigen in der Zeitung …

Den Alten, zunächst noch in Argentinien, erkennt die Leserin bald als diesen vermeintlich toten Vater. Der Kroate kam 1948 nach Buenos Aires und wartet seither darauf zurückzugehen. Er hasst die Kommunisten, hat im Keller seines Hauses einen Schießstand, hat seine zweite Ehefrau denunziert und damit "beseitigen" lassen, verprügelt seine dritte Frau und lehrt seine Mädchen Kroatisch. Vor allem engagiert er Ludwig, den Grazer Polizisten, der sich heimatlos in Argentinien herumtreibt, als seinen "Soldaten". Durch Ludwigs Brille lernen die Leser den Alten kennen, das ist ein gelungener literarischer Kniff: Denn so erklärt sich, warum der Alte einerseits ziemlich unheimlich wird, aber andererseits auch ziemlich dubios bleibt. Was der Alte "damals" "dort" gemacht hat, warum er fliehen musste - war er ein Kriegsverbrecher? -, bleibt Mutmaßung wie das Tun und Treiben von seinem Freund Don Filip, der vielleicht nicht nur Beichten im katholischen Sinne, sondern auch in der Bedeutung von Verhören durchzuführen versteht. So webt sich auch die blutige argentinische Geschichte in den Roman, in Andeutungen. Gstrein greift Vorurteile auf (das faschistische Kroatien; das blutige Argentinien), um sie zu hinterfragen. Andere Klischees spitzt er zu Karikaturen, wie etwa Marijas Ehemann, den ehemals kommunistischen Journalisten, der heute schreibend locker beide Seiten bedienen kann.

Keine Begegnung

Der Alte ist eine gelungene interessante Gestalt in diesem Roman, der die beiden Figuren (Vater und Tochter) aufeinander zu bewegt, sie aber einander letztlich nicht begegnen lässt. Sein lebenslanges Warten auf die Rückkehr ist glaubwürdig, ebenso der Umstand, dass er nach dieser Rückkehr nur eine sonderbare kleine Figur darstellt. Statt aktiv handelnd einzugreifen in die kroatischen Geschicke, wovon er all die Jahrzehnte geträumt hat, sitzt er in einem Zagreber Hotelzimmer (einem ehemaligen Gestapo-Hauptquartier) und rekonstruiert, was am 15. Mai 1945 in Bleiburg geschehen ist, als er mit Tausenden anderen Kriegsgefangenen von den Engländern den Partisanen ausgeliefert wurde, was für viele den Tod bedeutete.

Weniger Skepsis

Was bei der Charakterisierung des Alten gelingt, vielleicht gerade durch die distanzierte Beobachtung durch Ludwig, will bei Marija nicht so ganz glücken. Ihr Innenleben erfährt der Leser ohne Vermittler, es bleibt dennoch seltsam fremd. Warum sie tut, was sie tut, nämlich sich zum Beispiel vom Soldaten Angelo unterwerfen zu lassen, dafür kann man die Psychologie bemühen: Doch Marijas Geschichte verdankt sich wohl eher der Romanstruktur, in der sie als eine Art Gegenpart des Vaters angelegt ist (mit einem ehemaligen Kommunisten verheiratet, die Engländer als Beschützer in Erinnerung) und als sich schuldig fühlendes Opfer.

Ein auffälliger Unterschied zu Gstreins bisherigen Werken ist nicht nur der Verlagswechsel von Suhrkamp zu Hanser, sondern das Nachlassen der ausdrücklichen Sprachskepsis. Gstreins Erzähler waren sich - um es mit Gstreins eigenen Worten zu sagen - dessen, was sie erzählen, nie ganz sicher. Sie hielten sich immer Alternativen bereit - damit öffneten sie auch den Lesern Raum. Diese Art des Erzählens verlässt Gstrein dieses Mal. Vielleicht ist sein neuer Roman aber gerade deswegen tauglich für den Deutschen Buchpreis - er wurde bereits für die Longlist nominiert.

DIE WINTER IM SÜDEN

Roman von Norbert Gstrein

Hanser Verlag, München 2008

283 Seiten, geb., € 20,50

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