Zwischen Weite und Unendlichkeit
Norbert Gstrein entfaltet in seinem neuen Roman „Als ich jung war“ ein Tableau emotionaler Verstrickungen.
Norbert Gstrein entfaltet in seinem neuen Roman „Als ich jung war“ ein Tableau emotionaler Verstrickungen.
Hochzeitspaare an einer Lichtung vor der gähnenden Tiefe. Sie lässt einen Fluss und eine „Autobahn weit unten im Tal“ erkennen. Als Hintergrund nur der Blick in die Unendlichkeit. Eigentlich ein schönes Motiv für die Symbolkraft der Ehe, wenn die frisch Vermählten dazu nicht an den Abgrund des Schlossbergs herantreten müssten. Der Fotograf hat sich das Sujet genau überlegt. Es wird zu seinem Markenzeichen, zum Nervenkitzel für die Paare und irgendwann zum Verhängnis für den jungen Mann, der wohl schon unzählige Paare hierher geführt und mit seiner Leica am schönsten Tag ihres Lebens des Panoramas wegen an dieser Stelle abgelichtet hat.
Der aus Tirol gebürtige und nun in Hamburg lebende Schriftsteller Norbert Gstrein weiß, wie man Spannungsmomente platziert und einem Plot Tragfähigkeit einschreiben kann. Was er schon mehrfach bewiesen hat, gilt auch für seinen soeben erschienenen Roman „Als ich jung war“, der es im August bereits auf den ersten Platz der ORF-Bestenliste geschafft hat. Dass seine jüngste Prosa zum Teil auch autobiografische Spuren erkennen und Reminiszenzen an sein Debüt „Einer“ aufblitzen lässt, vor allem was das Verhältnis der Hauptfigur zur Tiroler Dorfwelt betrifft, zeigt sich bereits in der Handlungsexposition. Gstrein ist Sohn eines Tiroler Hoteliers, der auch eine Skischule geleitet hat. Nicht nur Ersteres verbindet ihn mit seinem Protagonisten Franz. In einer Rede zum Thema „Kindheit“ hat er jüngst erklärt, dass er „auf der Suche nach seiner Kindheit“ einen emigrierten Freund seines Vaters, einen ehemaligen Skischulbesitzer, in Jackson, Wyoming, besucht hat. Auf der Fahrt „in der Prärie“ sei ihm „die Zeit abhandengekommen“, er habe festgestellt, „wie durchlässig [sie] wurde, weil in der Weite der Landschaft alles nur mehr Raum war“. In seinem neuen Roman wird Wyoming zu einem der zentralen Schauplätze. Landschafts- und Zeitwahrnehmungen spielen – gekoppelt mit dem Festhalten der Unendlichkeit durch die Kamera auf der Suche nach „Existenzbeweisen“ – auch in Wyoming eine Rolle und verknüpfen sich über diese Ebene mit dem Erzählstrang in Tirol. Spuren von Tieren etwa führen zum Verschwinden „in einem Loch in Raum und Zeit“. Die Weite steht dabei auch im Kontrast zur Enge der dörflichen Tiroler Heimat und generiert potenziellen Erkenntnisgewinn.
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