Aber was kommt danach?

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In den USA boomen Romane über Familien: sie zeugen von der Krise der Institution, nicht aber von ihrem Ende. walter grünzweig zu "Crossing California" von Adam Langer und "Eine amerikanische Familie" von Matthew Sharpe.

Die Fahrt zum amerikanischen College ist der rituelle Auszug aus dem elterlichen Haus, zumindest in der gut verdienenden Mittelschicht des Landes. Da wird Rückschau gehalten auf Kindheit und Jugend und die bald-nicht-mehr-Erziehungsberechtigten geben ihren Schutzbefohlenen noch die eine oder andere Warnung mit auf den Weg. Auch Michael Rovner, pornobesessener Arzt und nach der Trennung von seiner Frau allein lebend, wünscht sich noch ein letztes bonding mit seinem Sohn Larry. Stattdessen langes Schweigen, das schließlich mit einem fatalen Satz bekräftigt wird: "Mach dir nichts draus, Dad, ich liebe dich und so, ich hab dir bloß einfach nichts zu sagen."

Einfach nichts zu sagen

Im zweiten Szenario fällt ein anderer Vater durch versehentliche Einnahme zweier inkompatibler Medikamente ins Koma. Die entlaufene Frau und Mutter sowie zwei halb erwachsene Kinder finden sich nach dem Besuch am Krankenbett eher per Zufall in einem Gourmetsandwichshop beim Mittagessen wieder: "Alle drei wären am liebsten aufgestanden und gegangen, doch brachte es keiner von ihnen fertig. Und so blieben sie die nächsten zwei Stunden über meist schweigend und wie gelähmt von der Übermacht der Familienbande auf ihren weißlackierten, gußeisernen, modisch unbequemen Stühlen um den Glastisch hocken."

Das "von Herzen kommende Fazit einer achtzehnjährigen Vaterschaft" oder die Unfähigkeit, angesichts einer familiären Kastastrophe auch nur ein Wort zu finden - sind das Zeichen für das endgültige Aus der (amerikanischen) Familie? Die Lektüre der langen Romane von Adam Langer (von dem das erste Beispiel stammt) und Matthew Sharpe zeigt die profunde Krise der Institution. Aber ihr Ende? Kaum. Was auf den vielen hundert Seiten dieser Bücher deutlich wird, ist, dass es auch in Situationen extremer "Entfremdung", "Sprachlosigkeit" und "Zerrissenheit", oder wie die therapeutisch-endzeitlichen Vokabeln sonst alle heißen mögen, die Suche nach Zuneigung, Freundschaft, Solidarität und Liebe gibt. Ist das die Neukonstitution menschlicher Gemeinschaft in der ausgehenden Postmoderne?

Es mag schon sein, dass die teils absurd-komischen Bilder einer lost generation auf amerikanischem Boden den Ausverkauf traditioneller Werte und Regeln signalisieren. Der Sohn aus jüdischer Familie, der seinem Vater im Koma ein Hitlerbärtchen aufmalt; Mutter und Tochter, deren Aufeinandertreffen "etwas von der Zusammenkunft argwöhnischer Beobachter zweier verfeindeter Stämme hat" - das sind Szenen, die die Konventionen des Bildungsromans in Frage stellen. Und doch wird man auch hier "zwar vollkommen planlos, aber dennoch erwachsen".

Suche nach Geborgenheit

Auf der Suche nach Liebe und Geborgenheit sind die meisten dieser verloren scheinenden Gestalten, und wenn sie sie auch nicht endgültig finden, so entwickeln sie doch eine Ahnung dessen, was sie ersehnen. Etwas zu planen, so heißt es bei Langer, verhindert das Gewünschte am zuverlässigsten. Aber ganz überraschend und zufällig erscheint so mancher Hoffnungsschimmer - etwa wenn der erst teilweise aus dem Koma genesene Vater wiederum seinen Sohn rettet und nun seinerseits mit "dem Kümmern dran" ist.

Neokonservative Bewegung

Langers Roman "Crossing California" spielt in zwei jüdischen Vierteln Chicagos, die durch die California Avenue von einander getrennt werden - der Titel des Romans ist somit eine kühne Täuschung möglicher Erwartungen auf eine road novel an der Westküste. Geschickt führt der Autor drei sehr verschiedene Familien, Schulen und Nachbarschaften in ein Netz von gegenseitigen Beziehungen, Abhängigkeiten und Ausbeutung, die zwar teilweise abstoßend wirken, jedoch auch Möglichkeiten des Miteinander aufzeigen. Die erzählte Zeit des Romans umfasst exakt die 444 Tage der Gefangenschaft amerikanischer Geiseln in der u.s.-Botschaft in Teheran von November 1979 bis Januar 1981, ein Ereignis, das im Roman jedoch explizit kaum erwähnt wird. Vor dem Hintergrund der Entwicklung der Vereinigten Staaten bis ins neue Jahrtausend wird jedoch deutlich, warum gerade diese Periode von Bedeutung ist: In der chaotischen Zeit der Geiselnahme, die Amerikas Macht als global player in Frage stellt, entwickelt sich die neokonservative Bewegung, die Präsident Carter stürzen und die Vereinigten Staaten - mit Unterbrechung der Präsidentschaften Clintons - immer stärker unter ihre Kontrolle bringen sollte.

Der Roman muss mit dem Wissen um das danach Kommende gelesen werden. Die trotz allem hoffnungsvollen Elf-, Fünfzehn- und Siebzehnjährigen werden von der Reagan-Revolution um ihre Träume betrogen werden. Einige von ihnen mögen sich im Hyperkonsumismus der 80er Jahre verlieren, viele von ihnen werden es nicht einmal bis dahin schaffen. Trotzdem, und deshalb ist diese Momentaufnahme so faszinierend, versuchen sie es. Das Problem ist: Jede Art des Rebellentums scheint abgeschmackt, aus zweiter Hand, und deshalb inakzeptabel. Es ist präzise die Grenze zwischen zwei Zeitaltern: dem Geist der 60er und der "Neuordnung" der usa bzw. der Welt in den Dekaden danach.

Gemeinschaft definieren

Matthew Sharpes Roman, kürzer, um einiges schriller und von Verena von Koskull mit hervorragendem Gespür für die Jugendsprache unserer Zeit übersetzt, spielt im jüdischen Milieu der Ostküste. Auch hier ist der Versuch zentral, Gemeinschaft neu zu definieren und dann auch zu finden. Durch die historische Anlage des Buchs spielte 9/11 bei Langer explizit keine Rolle - bei Sharpe dagegen kann davon ausgegangen werden, dass das Trauma bewusst ausgespart wurde. Das Leben dieser Jugend ist gekennzeichnet vom Präfix "post" - eine merkwürdige Art von biologischem Existenzialismus versucht, sich der Wirklichkeit traumhafter Erfahrung zu versichern. Als der nachmalige Komapatient seinen Sohn erblickt, vollzieht sich in seinem Körper "ein kardiovaskuläres, autonomes, gastrointestinales, neurologisches, respiratorisches und endokrines Wechselspiel, das der Laie wohl als Liebe bezeichnen würde." Wie auch in Langers Roman ist Ironie alles, man müsste diesen wilden Humor, gäbe es den Ausdruck, als "schwarze Ironie" bezeichnen. Auf die väterliche Frage, was denn der Junge einmal sein wolle, antwortet dieser: "Tot."

Rebellion gegen Eltern

Die Rebellion gegen die Mittelmäßigkeit der bürgerlichen Existenz drückt sich in vielerlei Schabernack aus, die deutlich in der Tradition von jüdisch-amerikanischen Bestsellern wie Philip Roths "Portnoy's Complaint" oder von Woody Allen-Filmen stehen. Und dennoch ist man eine oder mehrere Generationen weiter. Wie bei Langer ergibt sich die sexuelle Frustration der Jugendlichen aus der außer Rand und Band geratenen Sexualität der Eltern - für viele eine abstoßende Erfahrung, die selbst die Enthaltsamkeit zu einer interessanten Alternative werden lässt.

Was "am eigenen, blöden, verkorksten Leben" geändert werden könnte, bleibt unklar angesichts des "zuckenden Stroboskoplichts in der düsteren Diskothek des Bewusstseins" - eine geniale Metapher für die Befindlichkeit dieser Generation - aber die Suche nach Lösungen ist deutlich. Es ist eine Kombination extremer Ironie mit einer moralisierenden Grundtendenz, die Ehrlichkeit zu einem wichtigen Wert macht. Hört man hier neue Stimmen? Was kommt eigentlich nach der Postmoderne?

CROSSING CALIFORNIA

Roman von Adam Langer. Aus dem Engl. von Christa Krüger und Grete Ostwald. Verlag Rowohlt, Reinbek 2005. 587 Seiten, geb., e 25,60

EINE AMERIKANISCHE FAMILIE

Roman von Matthew Sharpe. Aus dem Amerikanischen von Vera von Koskull. Aufbau Verlag, Berlin 2005

336 Seiten, geb., e 20,50

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