RATTENFÄNGERIN MIT RACHEDURST

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ELKE LAZNIA LEGT MIT DER BESCHREIBUNG EINES DORFLEBENS EIN VERSTÖREND SCHÖNES ROMANDEBÜT VOR.

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ELKE LAZNIA LEGT MIT DER BESCHREIBUNG EINES DORFLEBENS EIN VERSTÖREND SCHÖNES ROMANDEBÜT VOR.

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Das Hadern mit der Provinz, mit dem übermächtigen Katholizismus, mit den missgünstigen, engstirnigen Dorfbewohnern und der zerstörerischen Ablehnung des Fremden, des Anderen: Thomas Bernhard, Peter Handke, Josef Winkler und Elfriede Jelinek haben dieses Bild geprägt und Elke Laznia, 1974 in Klagenfurt geboren, fügt sich dort nun mit ihrem Debütroman "Kindheitswald" nahtlos ein. Viele haben sich dieser Sujets angenommen, mit unterschiedlichem Erfolg. Elke Laznia, die 2012 den Rauriser Förderungspreis und 2013 den Maria-Zittauer-Lyrikpreis erhalten hat und bereits mehrere Veröffentlichungen in den Manuskripten aufweisen kann, verfügt wie nur ganz wenige auch über die Sprache, um dem Werk der großen österreichischen Autorinnen und Autoren etwas Originelles hinzuzufügen und nicht in epigonaler Bewunderung zu verharren.

Um einen klassischen Roman handelt es sich dabei nicht, eher um eine Sammlung von Kurzprosa. Dazu passt, dass mehrere Kapitel schon vorab einzeln in den Manuskripten erschienen sind. So wird in fast pointillistischem Stil eine Ahnung vom Leben der Ich-Erzählerin gezeichnet, von ihrer Kindheit, ihrer gescheiterten Ehe, der Beziehung zu ihren Kindern, dem Hass auf den eigenen Vater und das Dorf. Dabei berichtet "Kindheitswald" weniger von dieser Auseinandersetzung, sondern bildet sie sprachlich ab.

Die Familie, vermutlich in der südösterreichischen Provinz beheimatet, wird vom Vater früh verlassen. Es herrscht eine Atmosphäre der Angst und der Gewalt. Was in der Familie tatsächlich passiert, wie weit die Gewalt geht, wird nur angedeutet. "Die Spuren auf deiner Haut, wie hast du sie dir zugezogen, Mutter, wer hat sie gezogen, wer hat unterschrieben auf dir. Wer hat dich gezeichnet, sag, sag." Dem Vater hat die Ich-Erzählerin nie verziehen. Sie ist unversöhnlich bis zuletzt, als der Vater schwer erkrankt. "Der stirbt." So beginnt der Roman lakonisch. Darüber die Kapitelüberschrift: "stirb doch". Nur ihr Hass vermag es, der Erzählerin Kraft zu geben. Die Begegnung mit dem sterbenden Vater macht sie wieder angreifbar. "War ihm böse. Aber mein Hass war nicht zur Stelle, deshalb mein Lächeln. Kann es mir ohne Hass nicht aus meinem Gesicht wischen."

Bilder der Angst und des Schmerzes

Die Wunden der Kindheit verheilen nicht mehr. Verlassen vom Vater, stigmatisiert von den Dorfbewohnern. "Ich bin euer Krüppel geblieben, ihr steht mir noch immer ins Gesicht geschrieben." Die erdrückende Enge der Provinz - dieses urtypische Thema der österreichischen Literatur treibt auch Laznia um. "Mit den Gleichen geht es immer besser, über die Anderen zu richten. Wir waren nicht die Gleichen, immer die Anderen. Und sie sind hergefallen über uns." Es klingt, als hätte sich seit Thomas Bernhard nichts geändert, "als wären nicht dreißig oder mehr Jahre vergangen, weil sich dort die Zeit anders dreht in den Köpfen der Leute, dort mahlen die Mühlen der Vergeltung und der Begrenzung, der Ausgrenzung, die Leute halten die Mühlen in Gang aber die Zäune niedrig, zum Hinübergaffen, zum Über-andere-Herziehen, Herfallen."

Die Ich-Erzählerin fühlt sich diesen Angriffen hilflos ausgeliefert: "Durch alle Fenster und Ritzen und Löcher und Fugen, durch alle hagelkaputten Dachziegel krocht ihr herein. Ihr habt in den Ecken auf uns gewartet, und wir haben überrascht getan und gelächelt und euch Platz angeboten, aufgetischt, euch unser Leben zum Fraß hingeworfen, euch nicht gefragt, warum habt ihr so große Augen, warum habt ihr so große Mäuler, warum habt ihr so große Ohren."

Es sind Bilder der Angst und des Schmerzes, Kindheitserinnerungen, die Laznia virtuos in eine Schmerzenssprache übersetzt. Die beständigen Wiederholungen bohren sich wie Schrauben spiralförmig ins Fleisch des Textes und ins Mark des Lesers. Das ist beklemmend, ja verstörend, aber auch von irritierender Schönheit. Dieser Kindheitswald, voller Gestrüpp und Unterholz, lässt Narben zurück, die nicht mehr heilen. "Kindheitswald" ist ein Buch über die Angst, die sich als Leitfaden durch das Leben der Ich-Erzählerin zieht.

Auf Lichtungen hofft man vergebens. Nicht mal die Liebe ist heilsam - was soll auch helfen, wenn das Grauen in einem selbst haust. Die aus allen Himmelsrichtungen herbeieilenden Männer können die Angst und die Dunkelheit nicht vertreiben. Wenige Worte werden über das Scheitern der Ehe verloren, über die beim Vater verweilenden Söhne. Die eigene Kindheit treibt die Protagonistin um, die selbst gegründete Familie wirkt dagegen wie eine Randnotiz.

An einigen Stellen wird das fast ein bisschen viel, sodass man das Gefühl bekommt, der Schmerz wird etwas zu sehr zelebriert. Und doch ist gerade das wohl konsequent. Keine Vergebung, nur Hass und Rachedurst. Im Kapitel "ich, rattenfängerin" imaginiert die Erzählerin einen Racheakt an ihrem Heimatdorf: "Ich werde zurückkommen und euch entzweien. Damit ihr seht, was ihr seid. Damit ihr vereinsamt. Wie ich."

Aus Elke Laznias Texten spricht der Zorn eines Thomas Bernhard oder einer Elfriede Jelinek, aber in einer Sprache von solcher Schönheit, dass man an manchen Sätzen hängenbleibt. Es lohnt, sich in diesen Kindheitswald hineinzuwagen.

Kindheitswald

Roman von Elke Laznia

Müry Salzmann 2014 128 S., geb., € 19,00

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