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Abgrundtiefe Bosheit

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Schon der Beginn der vorjährigen 23. Internationalen Filmfestspiele in Berlin bescherte dem Festivalpublikum einen Spitzenfilm — und dieser erscheint nunmehr auch als erster wirklich sehenswerter Film im neuen Jahr in Wien: des jungen Sal-, vatore Samperi sozialkritische Bosheit „Malizia“ — und die nicht Italienisch sprechenden Filmfreunde mögen sich angesichts des Titels nicht abschrecken lassen: Dieser, wohlweislich im Original belassen, ist nicht der Name eines wildwestlichen Helden oder ein psychedelischer Sexbegriff, sondern heißt auf deutsch ganz einfach und in jeder Beziehung für den Inhalt, die Aussage und auch die Gestaltungsabsicht zutreffend soviel wie „Bosheit“ ... Samperi, heute 29jähriger Regisseur, wollte und will stets „provozieren“, gesellschaftliche Einsichten vermitteln und mit Schockmitteln aufmuntern: Schon in seinem Debut-film „Grazie Zia“, 1967 (bei uns hieß er „Des Teufels Seligkeit“), und nicht weniger in seinem Opus zwei „Cuore di Mamma“ (1968) zeichnete er das Porträt des Bösen in der Gestalt eines psychopathischen Jugendlichen beziehungsweise Kindes — wobei schon damals der Sexualpathologie große Bedeutung zufiel. Was er nun heute inszeniert, ist weitaus publikumswirksamer, viel hintergründigverschleierter, darum aber kommerziell erfolgreicher geworden: Es ist die Geschichte eines eben verwitweten Vaters dreier Söhne — darunter eines Vierzehnjährigen —, der in dem neuen, ungemein tüchtigen jungen Dienstmädchen die Nachfolgerin seiner Gattin findet, was allerdings nicht eher stattfindet, als die junge ehrgeizige Schöne nicht von dem frühreif-aufgeweckten Knaben dazu die „Erlaubnis“ erhält... Amüsement auf sizilianisch mit einigen sozialkritisch-satirischen Aspekten? Das mag nur dem oberflächlichen Zuschauer so erscheinen, der trotz manch heiterer Szene ein großes Unbehagen verspürt; kein Wunder — denn hinter der angeblich spaßigen äußerlichen Demonstration der Triebe verbirgt sich soviel Sadismus, werden solche Abgründe der Seele deutlich, daß sie erschauern lassen, bewußt und unbewußt...

Wie heikel ist dagegen die jugendliche Welt in den Filmen unserer nachbarlich-westlichen Bundesrepublik — und wie verlogen! Da bringen „Die Zwillinge vom Immenhof“ in Generationsnachfolge der geschäftsträchtigen „Die Mädels vom Immenhof“, 1955, und „Ferien auf Immenhof“, 1957, eine ganze Reihe von Ehen zustande, und der deutsche Gutsbesitz — merkwürdigerweise nicht in aristokratischen Händen — bleibt erhalten. Großmama „Zarin“ Olga Tschechowa, auf Grund ihrer kürzlich veröffentlichten Memoiren wieder „im Geschäft“, verkörpert nicht weniger alte Klischees wie Gesinnung und Gestaltung der unwahren Heimatromane.

Doch wer authentisch „Altes“ sehen will, möge die Wiederaufführung des Musical-Vorläufers „Capriccio“ aus dem Jahr 1938 nicht versäumen, eine ebenso kuriose wie wenig charmante Filmverirrung des berüchtigten deutschen Militär-Propagandafilm-Regisseurs Karl Ritter, die eher deswegen sehenswert ist als durch die Mitwirkung Lilian Harveys, Paul Kemps, Aribert Wäschers und so weiter in musikalisch-parodistischen Rollenzwängen...

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