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An der Spitze der Nadel

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Zum vierten Mal hatte vergangene Woche die „Zukunftswerkstätte Kraftfeld“, ein vom gleichnamigen Verein mit dem ÖVP-Abgeordneten Othmar Ka-ras an der Spitze veranstaltetes Alternativsymposium, ihre Pforten in Neukirchen am Großvene-diger, in der Hauptgemeinde des Nationalparks Hohe Tauern, geöffnet. Dem Anspruch, spannungsreiche Auseinandersetzungen über ideologische Grenzen hinweg zwischen etablierten und neuen Denkansätzen zu bieten.

dürfte das Kraftfeld IV nach Eindruck zahlreicher Stammbesucher in diesem Jahr erstmals entsprochen haben.

Dazu beigetragen hat auch das aus Robert Musils „Mann ohne Eigenschaften“ entnommene Motto des Symposiums „Seele und Genauigkeit“. Nach den harten Konflikten zwischen Rationalisten und Irrationalisten im Vorjahr setzte der Geschäftsführer und Programmleiter Peter Ober-lechner diesmal mit präziserer Vorbereitung der Arbeitskreise auf Synthese statt auf Dualität.

Gewandelt hat sich in diesen vier Jahren nicht nur das Programm, sondern auch der Teilnehmerkreis. Nach der Idee des Kraftfeldobmanns Othmar Karas im Frühjahr 1983, sollte eine Art Forum Alpbach für die Jugend entstehen, eine alternative Bildungseinrichtung mit Wissensvermittlung und Ideenfindung, aber auch künstlerischer Betätigung, frei nach Joseph Beuys* Motto: „Jeder Mensch ist Künstler.“

Fanden sich beim Kraftfeld I 1983 im ötztaler Ort Längenfeld etwa 200 vorwiegend von Universitäten kommende Zukunftsbildner, so bildeten die Studenten diesmal eine Minderheit. Dieses Monopol für vordenkerische Aktivitäten wurde längst von Intellektuellen aller Altersstufen gebrochen. Das Symposium mag dadurch zwar an Buntheit verloren haben, an Niveau und konstruktiver Arbeitsweise hat es sicher gewonnen.

Durch die präzisere Themenvorgabe und die Anbietung von Blockveranstaltungen über zwei, drei Tage hinweg, konnten auch interessierte Berufstätige als Publikum gewonnen werden. Gerade das Einbringen ihrer Erfahrungen macht zumindest auf allzu abgehobene Diskussionen aufmerksam, führt zu Debatten über Realisierungsmöglichkeiten und kann sogar in konkreten Projekten ihren Niederschlag finden.

Gelernt haben die Organisatoren auch, allzu idealistische Ansprüche aufzugeben, etwa die Forderung nach Integration der Ortsbevölkerung in jedes Thema des Symposiums. Gerade die bei den Kraftfeld-Teilnehmern so beliebten Landschaftsgestaltungsgruppen fanden bei Einheimischen wenig Anklang. Statt Kulturzwang sollten diesmal mit dem Schwerpunkt Musik im künstlerischen Programm die Barrieren zu den Ansässigen und Gästen durchbrochen werden.

In den wissenschaftlichen und

künstlerischen Programmen ist das Kraftfeld somit längst den Kinderschuhen entwachsen, wenn man an die 150 Arbeitskreise, Referate, Podiumsdiskussionen und Kulturveranstaltungen denkt. Es hat sich zum außergewöhnlichsten Symposium Mitteleuropas gemausert.

Den etwa 500 Teilnehmern standen in diesem Jahr an die 80 Referenten oder künstlerische Gruppen zur Verfügung. Dies ist ein Verhältnis zwischen „Lehrenden“ und „Lernenden“, von dem mas-senuniversitätsgeplagte Studenten nur träumen können.

Nicht mitgehalten mit dieser

Ausweitung hat die administrative Seite. Die Organisation der Mammutveranstaltung beansprucht ein ganzes Jahr, zwei Angestellte und 70 freie Mitarbeiter sind dafür wohl zuwenig.

Um den Anspruch einer Zukunftswerkstätte, bei den Themen „an der Spitze der Nadel“ zu sein, (wie es Oberlechner formuliert), gerecht werden zu können, erfordert die Planung ein Schritthalten mit der Entwicklung auf einer Reihe wissenschaftlicher und künstlerischer Gebiete.

Die Finanzierung des Unternehmens, die nur zu einem gerin-

gen Teil aus Tagungsbeiträgen erfolgt, ist darüber hinaus nicht länger gesichert. Klar scheint nur, daß bis Ende Juli die Personalsituation geklärt werden muß, soll es 1987 zu einem fünften Kraftfeld unter gleicher Leitung kommen. Denn während in Österreich das Medienecho eher abnimmt, ist man inzwischen in der Bundesrepublik Deutschland auf diese Einrichtung aufmerksam geworden. Ein Team des Norddeutschen Rundfunks hat die Zukunftswerkstätte eingehend durchleuchtet.

Auch der deutsche Philosoph und Schriftsteller Peter Sloter-dijk, der sein Eröffnungsreferat „Das Andere am Anderen“ als philosophische Bemerkungen zur Alternativbewegung verstanden wissen wollte, dürfte an der Zukunftswerkstätte Kraftfeld Gefallen gefunden haben. Er nahm nicht nur einige Tage an Arbeitskreisen teil, sondern zeigte sich an Überlegungen zur Gründung einer Alternativuniversität gemeinsam mit dem Kraftfeldorganisator Peter Oberlechner äußerst interessiert.

Damit wäre der Kraftfeldidee wohl ein typisch österreichisches Schicksal beschieden, denn mit der Realisierung einer Alternativuniversität ist schon aus finanziellen Gründen eher in der Bundesrepublik Deutschland zu rechnen. Der Fortbestand der Zukunftswerkstätte als ÖVP-naher Einrichtung dürfte dagegen nach typisch österreichischem Muster gesichert sein: Mitten in die Kraftfeldwoche platzte die Nachricht von der Anstellung des sozialistischen Abgeordneten und Karas-Gegenspielers Josef Cap in der Parteizentrale mit der Aufgabe, eine SPÖ-Zukunftswerkstätte zu bilden...

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