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Mit Hirn und Muskeln
Der Pfarrer der ötztaler Gemeinde Längenfeld nahm den Wunsch nach einem erfolgreichen Verlauf des zweiten „Kraftfelds" heuer sogar in seine Fürbitten auf. Im vergangenen Jahr wollte der örtliche Seelsorger den Veranstaltern noch das Benützen der „Bichl-Kirche" untersagen, weil als Referent auch Adolf Holl geladen war.
Nach der ersten Kraftfelderfahrung haben nun offenbar die Bewohner des Tiroler Bergdorfs ihren Frieden mit der unkonventionellen Zukunftswerkstätte gemacht. Die teilweise offene Skepsis, ja Ablehnung, wie sie den rund 300 Teilnehmern am ersten „Kraftfeld" entgegenschlug, ist gewichen.
Die Problematik einer solchen Veranstaltung bleibt aber. Auf einen Stamm gänzlich unterschiedlicher kultureller Gegebenheiten und Erfahrungen wird das Alternativsymposion aufgepfropft. Doch der Reiser begann immerhin zu treiben.
Viele Einheimische folgten der Aufforderung und beteiligten sich erstmals an Vorträgen und Arbeitskreisen. Insbesondere dem Thema „Religiöse Toleranz" galt das Interesse der Längenfelder.
Der Charakter des vornehmlich vom Tourismus und der Bauernwirtschaft lebenden Ortes wird während der einen „Kraftfeld quot;Woche kraß verändert. Statt holländischer und deutscher Urlauber, dominieren Jeansbehoste das Ortsbild.
Sie überspannen die ötztaler Ache mit einem Netzwerk aus Segeln und Stricken, bauen Klangmaschinen neben dem Schwimmbad und Pyramiden am Campingplatz.
Das „Kraftfeld" sorgte zweifellos dafür, daß es in Längenfeld etwas zu Staunen gab.
Von hektischer Betriebsamkeit wurden freilich auch die Teilnehmer erfaßt. Die Vielzahl von Ple-nardiskussionen und mehr als zwei Dutzend Arbeitskreise erforderten einen geschickten Slalom durch den Stundenplan.
Uber Gemeinschaft und Persönlichkeit wurde so intensiv diskutiert, daß Störenfriede mit einem nachgeworfenen Schlapfen rechnen mußten. Der so Getroffene hat seinen Auftrag als Mitglied der Außenseitergruppe erfüllt. Dort wurden Außenseiterstrategien nicht nur besprochen, sondern zum Ingrimm anderer auch eine Woche lang gelebt.
Gruppendynamische Prozesse und Beziehungen in Selbsterfahrungsgruppen haben einige Teilnehmer beinahe überfordert. Die Diskussion über „Konflikt" und „Aggression" balancierte haarscharf an der Grenze zwischen Theorie und Wirklichkeit.
Das eigentliche Kraftfeld ist also in den Arbeitskreisen passiert. Natürlich erhielt der Vortrag des Krakauer Religionsphilosophen Josef Tischner nicht nur Applaus, sondern auch Publizität. Seine Thesen über die personale Freiheit, die auch in totalitären Systemen vom Menschen errungen werden können, ließen an aktueller Brisanz nichts vermissen.
Die Plenardiskussionen über Gegensatz oder Gleichklang zwischen Wirtschaft und Ökologien verliefen weniger schablonenhaft als dies noch vor einem Jahr der Fall gewesen war.
Das Bekenntnis zum Einsatz aller neuen Technologien im Dienste der Umgestaltung der Industrie zu einer ökologischen, wie es vom Berliner Ökonomen Josef Huber abgelegt wurde, blieb unangefochten. In Längenfeld fehlten die Maschinenstürmer.
In vielen Bereichen wurden von den Exponenten Schritte aufeinander zu gemacht. Besonders ökologische Fragen, die der (Tages) Politik noch Bauchweh verursachen, werden von der künftigen Intelligenzia beantwortet.
Die Gegensätze der Zukunft scheinen nicht im fehlenden Verständnis zwischen hochentwik-kelter Industrie und jungen Intellektuellen zu wurzeln. Mehrere Computerkonzerne investierten beispielsweise geistiges und materielles Potential, um die Teilnehmer des Kraftfelds in die Mechanismen der Mikroelektronik einzuweihen.
Frederic Vester, Buchautor und Biokybernetiker, berichtete von großen deutschen Weltunternehmen, die ihre Betriebsstrukturen nach den Erkenntnissen der Kybernetik und den Theorien „ver-netzter Lebensbereiche" neu gestalten.
Bei all den Schwachstellen, den unbefriedigenden Beiträgen, dem Scheitern mancher Ambition erfüllt das „Kraftfeld" eine wichtige konstruktive Funktion. Es wird an der Veränderung und hoffentlich an der Verbesserung unseres Gesellschaftssystems gearbeitet.
Das Hauptkontingent der Teilnehmer wurde von der Hochschülerschaft, von Mitgliedern nichtsozialistischer Organisationen gestellt. Dieses Faktum unterstreicht einen weiteren Trend. Die Auseinandersetzung mit „modernen" Themen, mit Zukunftsfragen ist kein Monopol der Linken mehr.
Die Diskussion über das Morgen hat vielmehr die althergebrachten Links-Rechts-Schemata über den Haufen geworfen.
Wie links ist ein Leopold Kohr, der sich für Dezentralisierung kleiner Einheiten und mehr Föderalismus einsetzt — alles Kernpunkte christlich-sozialer Ideologie.
Wie links sind die Teilnehmer des Demokratiearbeitskreises, die sich für mehr Bürgerrechte, Respektierung von Volksbegehren, Persönlichkeitswahlrecht aussprechen?
Die Zukunftswerkstätte im „Kräftfeld Längenfeld" hat heuer kräftig gehämmert und geschmiedet. Die geistigen Erzeugnisse sind möglicherweise nicht allzu marktgängig. Doch allein die Mitarbeit hat den meisten Teilnehmern Hirn und Muskeln gestärkt.
Beides wird zur Bewältigung der Zukunft notwendig sein. Dies zum Denken, das zum Anpacken. Und für die notwendige Portion Optimismus, Utopie und Romantik war auch gesorgt.
„Nur der Romantiker sieht den Regenbogen zwischen den beiden Nullgrößen", formulierte Leopold Kohr. Solche gab es genug in Längenfeld, nicht nur des Vollmonds und der lauen Nächte wegen.
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