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Es gibt nichts Gutes, außer man tut es - aber wie?

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Die Behauptung im Titel stammt bekanntlich von Erich Kästner, die daran geknüpfte Frage von meiner Wenigkeit. Beide ergeben das Motto der folgenden Geschichte:

Eines Abends entdeckte ich auf meinem Heimweg Ecke Biedere Hauptstraße und Kleine Großgasse einen neuen Zeitungsverkäufer. Es war ein schmächtiger Jüngling mit traurigen Augen, von einem Vollbart abgesehen glattrasiert, dunkelhäutig, der Zeitungsstoß in der Hand schon morgig. Ich kaufte einen „Tag", Preis acht Schilling, und gab ihm ein Trinkgeld von einem Schilling. Es beeindruckte mich vermutlich, daß er mir die Hand küßte; jedenfalls kaufte ich meine Zeitung von Stund' an bei ihm, inklusive Trinkgeld.

Mein Schützling hieß Siddharta, war Inder, 19 Jahre alt, finanzierte sein Universitätsstudium durch Zeitungsverkauf und hatte vor, seine Eltern daheim zu unterstützen. Um ihm letzteres zu ermöglichen, erhöhte ich das Trinkgeld auf zwei, später sogar auf drei Schilling. Schließlich berappte ich den doppelten Preis für meine tägliche Zeitung. Eine echte Freundschaft entstand zwischen uns.

Eines Abends kam ich aus der Oper, da stand ein molliger, unwiderstehlich lächelnder, bebrillter, dunkelhäutiger Kolporteur und bot den „Tag" an. Ich kaufte ihm eine Zeitung ab und spendierte einen Schilling Trinkgeld. Er erflehte Allahs Segen auf mein Haupt.

Wenn ich von nun an in der Opem-gegend zu tun hatte, erwarb ich meine Zeitung ausnahmsweise bei Ali, dem 22jährigen ägyptischen Studenten, der als Zeitungsverkäufer auch seine Eltern unterstützte. Alsbald verband uns eine innige Freundschaft.

Ali bedrängte mich, auch bei seinem Kollegen Jussuf Kunde zu werden. Jussuf, 21, Student aus dem Iran und gleichfalls Elternunterstützer, bot jedoch nur den „Abend" feil. Also folgten in Hinkunft zwei Zeitungskäufe pro Abend, samt Trinkgeld, und hie und da kleine Geschenke. Zuweilen zeigte mir Jussuf Fotos von den

Frauen seines Vaters; das dauerte sowieso bis Mittemacht.

Allerdings konnte ich mich dem rührigen Kolporteur Ibrahim, Paki-stani, 21, Student, kleiner Schnurrbart, große Sorge um Eltern, auch nicht verweigern, als er in einem Restaurant seine Ware mit hartnäckigem Charme anbot. Er merkte sich mein Gesicht. Wenn er mich in einer Straßenbahn erblickte, warf er sich vor den Zug, um ihn zu stoppen, stieg ein und bediente mich.

Der Versuch, Gerechtigkeit walten zu lassen, scheiterte. Ich ging nur noch mit dunkler Brille und aufgeklebtem Bart aus, aber sie erkannten mich, auch Mohammed, Aladdin, Achmed und alle Zeitungsverkäufer aus tausendundeiner Nacht, an die mein Steckbrief weitergegeben worden war. Was hätte ich tun können als jedem, der mir über den Weg lief, Zeitungen abzunehmen?Zwar bekam ich einen Orden für meine Verdienste um die Altpapiersammlung, aber dann wurde ich von der Staatspolizei verhaftet. Wegen meiner undurchsichtigen Nahostkontakte. Ich wurde in ein arabisches Land abgeschoben.

Dort kaufte ich mir am ersten Abend eine Zeitung von einem österreichischen Studenten, Sepp, 21, braungebrannt, verdient nebenbei als Kolporteur und schickt seinen Eltern Geld nach Hause.

Und die ganze Misere begann von vom, allahbendlich...

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