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Provokateuren auf den Leim gegangen

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FURCHE: Am Samstag hat Ihr Parteiblatt „RHindja demökratike" geschrieben, die Geheimpolizei „Sigu-rimi" habe den Exodus nach Italien angestiftet. Gibt es dafür Beweise?

SALIH BERISHA: Die Demokratische Partei ist an der neuen Regierung der nationalen Errettung beteiligt. Das ist der Falken-Fraktion der Kommunisten ein Dom im Auge. Sie wollen nicht nur die Demokraten, sondern auch die linken Reformkräfte diskreditieren. Und da bietet sich so eine dramatische Geschichte wie das Erstürmen von Frachtern geradezu an. Damit wird der Welt angeblich gezeigt, was für ein Chaos in Albanien herrscht, seitdem man sich vom „wahren Sozialismus" verabschiedet hat.

FURCHE: Wo sind die Beweise?

BERISHA: Der Ablauf zeigt, daß alles von langer Hand vorbereitet wurde. Nicht nur Gerüchte, es lägen Schiffe im Hafen, die jeden nach Italien mitnehmen würden, wurden seit Tagen im Land verbreitet; plötzlich fehlten auch die üblichen Kontrollpunkte in den Hafenstädten (siehe Reportage über Albanien Seite4, Anm. d. Red.), waren die einst schwer bewachten Kaianlagen für jedermann leicht zu erreichen und dann lagen da außerdem abfahrtbereite Schiffe vor Anker. Das sind zuviele Zufälle.

FURCHE: Sie bedauern jafast, daß sich das Militär endlich aus den Hafenstädten zurückgezogen hat.

BERISHA: Das ist ein falscher Eindruck. Wir haben nie den Befehl gegeben, die Armee solle die innere Sicherheit im Griff behalten dürfen. Diese Zeiten gab es bei der ersten großen Flüchtlingswelle im letzten Jahr, auch im Frühjahr wurden die sogenannten Ausreißer gewaltsam und nicht selten blutig an ihrer Flucht gehindert. Diesmal zog sich das Militär und die Sigu-rimi nicht deswegen zurück, um ein Ende der Repression zu signalisieren, sondern, um gegebenenfalls erneut verstärkt in Aktion zu treten.

FURCHE: Droht ein Putsch? BERISHA: Nein, aber gewisse Kreise, vorallem innerhalbdergefürchteten Geheimpolizei, wollen ihre Macht und Privilegien nicht aufgeben. Sie wollen die moderne Demokratie verhindern. Und dafür kam ihnen der Massenexodus nach Bari mehr als gelegen. Bekanntlich möchte das Parlament in diesen Tagen mehrere Gesetze verabschieden, wodurch die alten stalinistischen Machtstrukturen, vor allem im Sicherheitsapparat, für immer beseitigt werden. Außerdem wollen wir alle Greuel der stalinistischen Ära offenlegen, wollen auch den Schuldigen faire Prozesse machen. Den alten Kadern kommt das ungelegen. Sie haben Angst vor Strafe und Rache. Daher säen sie Unzufriedenheit in der Bevölkerung, um später sagen zu können, die Demokratie tauge nicht für Albanien.

FURCHE: Warum sind die Menschen den Sigurimi-Provokateuren auf die Schiffe gefolgt?

BERISHA: EsiStdoch ein leichtes, die Not unserer Bevölkerung auszunützen. Die Menschen sehen keine Hoffnung, sie finden kaum etwas zu essen, für Fleisch und Milch müssen sie stundenlang anstehen; wen wundert es, daß sie weg wollen, daß sie Provokateuren auf den Leim gegangen sind.

FURCHE: Im Inneren lauert die Geheimpolizei, im Ausland - so zumindest laut Ihrer Presseaussendungen - die serbische Gefahr. Wie soll es mit Albanien weitergehen, heißen Sie die italienische „Rückführaktion " gut?

BERISHA: Wir Albanermüssen uns selbst aus dem Dreck ziehen, wir müssen auch bereit sein, bewaffneten Aggressionen begegnen zu können, und wenn unsere Geschwister im Kosovo von fanatischen Serben bedrohtwerden, ihnen zur Seite zu stehen. Wir müssen Demokratie verwirklichen und nicht im Chaos landen, was unsere Feinde gerne sähen. Zur „Rückführung": Mit einem Bleiberecht für die Geflüchteten wäre wohl nichts gelöst. Italien mußte unsere Landsleute - auch gewaltsam - zurückschicken.

Mit dem Chef der „Demokratischen Partei", Salih Berisha, sprach Roland Hofwiler.

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