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Religion als tödliche Waffe

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Der Erzbischof der indischen Diözese Trivandrum, Mar Gregorius B. Varghese Thangalathil, äußerte dieser Tage anläßlich eines Besuches in Westdeutschland seine Besorgnis über den im indischen Bundesparlament eingebrachten Gesetzentwurf zur Religionsfreiheit, genannt „Freedom of Religion Bill“. Dieses Gesetz, das die Anwendung von Gewalt, Verlockung oder betrügerischen Mitteln im Zusammenhang mit religiösen Konversionen verhindern soll und unter Strafandrohung stellt, ist schon seit längerer Zeit Gegenstand heftiger Auseinandersetzungen zwischen kirchlichen und staatlichen Stellen in Indien, die in einem Protestmarsch von 500.000 Menschen in Kerala ihren Höhepunkt fanden.

Der Wortlaut des Gesetzestextes läßt nämlich eine weite Interpretation zu, und die Anwendung eines im indischen Bundestaat Aruhachal Pradesh bereits im Vorjahr verabschiedeten ähnlichen Gesetzes über Religionsfreiheit gibt den indischen Christen Grund zur Befürchtung, daß eine Behinderung des kirchlichen Verkündigungsauftrages künftig für ganz Indien droht.

Gewalt, Verlockung und Betrug als Mittel zur Bekehrung stellt das eingebrachte neue Gesetz unter Strafe. Derartige „Bekehrungsmethoden“ lehnen auch die christlichen Kirchen ab. Doch je nach Anwendung des Gesetzes kann schon der Hinweis auf das Gewissen als Gewaltanwendung gedeutet werden, und soziale Hilfeleistungen können unter das Verdikt „Verlockung“ fallen. • Auch der Begriff Betrug erweist Sich als schillernd, da bei unterschiedlichen Weltanschauungen oder Religionen der jeweilige Wahrheitsgehalt nur durch Gewissens-, niemals durch rein objektive Gründe erwiesen werden kann, öffentliche Predigten, kirchliche Plakate - das alles kann als Verlockung und Werbung zur Straftat werden. In der oben erwähnten Provinz Arunachal Pradesh wird zum Beispiel die Spendung der Taufe bereits unterdrückt.

In einem Memorandum an den indischen Staatspräsidenten hatte nach Verabschiedung dieses Gesetzes in Arunachal Pradesh der Exekutivausschuß des Pastoralrates der Erzdiözese Changanacherry schon auf diese möglichen Folgen hingewiesen, die einer Diskriminierung der christlichen Religion gleichkämen. Das Gesetz beraube den Bürger des fundamentalen Rechtes, den Glauben zu bekennen, den er selbst gewählt hat. Es ist das Recht des Bürgers, die Religion zu wählen, die er bevorzugt. Das Vorenthalten dieses Rechtes kommt einer Verweigerung der Gewissensfreiheit gleich, heißt es in diesem Memorandum.

Obwohl die demokratische Verfassung Indiens allen Bürgern die freie Religionsausübung und auch freie Wahl der Religion garantiert, scheinen dieses Gesetz von Arunachal Pradesh und die Gesetzesvorlage für das indische Zentralparlament, die übrigens Om Prakash Tyagi, ein Mitglied der regierenden Janata-Partei, einbrachte, diesen Grundfreiheiten zu widersprechen.

Diese Gesetzesvorlage brachte auch Unruhe in die indische Bevölkerung und in die einzelnen Religionsgemeinschaften, was sich im April dieses Jahres in der Ermordung eines Jesuitenpaters in der Diözese Patna und in Straßenkämpfen zwischen Teilnehmern an verschiedenen religiösen Veranstaltungen in der Industriestadt Jamshedpur auswirkte. Proteste gegen und Diskussionen über dieses Gesetz wollen seit seiner Einbringung ins Parlament nicht mehr verstummen.

Nicht nur kirchlicherseits gibt es Widerspruch gegen die Gesetzesvorlage. Auch staatliche Beamte zeigen sich besorgt um den freien und säkularen Geist Indiens, der ihnen durch dieses Gesetz und seine Auswirkungen gefährdet erscheint.

In einem Protestbrief an den inzwischen zurückgetretenen indischen Premier Morarji Desai zeigt sich auch Mutter Teresa von Kalkutta über diese jüngste Entwicklung besorgt: „Jahrelang haben die Leute im Frieden miteinander gelebt. Jetzt wird die Religion als tödliche Waffe gebraucht, die gegenseitige Entwicklung zu zerstören, nur weil einige Christen, andere Hindus sind oder einer Stammesreligion angehören.“

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