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Schon zu viele Einzelkämpfer

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Rund um die Katholische Sozialakademie (KSÖ) ist es in den hochsommerlichen Wochen wieder etwas stiller geworden. Die Attacken auf die 1958 von der Bischofskonferenz eingesetzte Sozialakademie, deren jetziger Direktor, der Jesuitenpater Herwig Büchele, meist als Zielscheibe im Mittelpunkt stand, sind aber noch in guter (beziehungsweise schlechter) Erinnerung: Etwa die Tagung „Christentum und Sozialismus“, die Gespräche zwischen Büchele und SPÖ-Klubobmann Heinz Fischer über die Fristenlösung oder zuletzt der Kommentar zum Grundsatzprogramm der Handelskammer, der insbesondere von jenen KSÖ-Mitverantwortlichen als unfreundlich empfunden wurde, die sich innerhalb der Kammer zuvor für eine stärkere Berücksichtigung der katholischen Soziallehre eingesetzt hatten.

Eine für 8. September anberaumte Sitzung des 16köpfigen KSÖ-Kurato- riums, dem auch Herwig Büchele (mit beratender Stimme) angehört, soll nun zur Glättung der recht hoch gegangenen Wogen beitragen. Aus diesem Anlaß sprach die FURCHE mit Parlamentsdirektor Wilhelm F. Czerny, dem als’einem der ersten und engsten Mitarbeiter des früheren Leiters Pater Walter Riener die Sozialakademie auch heute noch sehr am Herzen liegt. Bewußt sollte durch dieses Interview vermieden werden, einen der Hauptverantwortlichen der aktuellen KSÖ- Struktur zu befragen, um vor der Kuratoriumssitzung keine neuerliche Aufschaukelung der Gemüter zu provozieren.

Wilhelm Czerny, der sich bezüglich der KSÖ keiner „Fraktion“ zugehörig fühlt und seine Äußerungen als Privatmeinung gewertet wissen will, ist entsetzt über die Art und Weise der Auseinandersetzungen. „Was mich erbittert: Man kann gegen einzelne Positionen des Dozenten Büchele sein, aber man kann das Ganze doch nicht zu einer Personenhatz ausarten lassen!“ KSÖ-Direktor Herwig Büchele sei wohl Herausgeber des KSÖ-Nach- richtendienstes, als solcher aber keineswegs für jede Zeile verantwortlich zu machen („Eine Unabhängigkeit der Redaktion gegenüber dem Herausgeber muß ja auch im katholischen Bereich gesichert sein“).

Der Irrweg in der Auseinandersetzung begann nach dem Dafürhalten Czernys, seit seinerzeitige Mitarbeiter von Pater Riener „die Diskussion nicht mehr innerhalb der Akademie führten, sondern im Rahmen von Pressekonferenzen, Zeitungsartikeln und Eingaben an die Bischofskonferenz“.

Als besonders problematisch beurteilt Czerny auch den Umstand, daß Mitglieder des Kuratoriums („das kommt von ,curare* = pfegen“), die dem Institut in einem besonderen Naheverhältnis verbunden sein sollten, gegen diese Akademie Stellung beziehen: „Das gibt es nur im kirchlichen Bereich! Im profanen Leben würde das Mitglied eines Unternehmensorganes bei einem solchen Verhalten sicher wegen Verletzung der Treuepflicht seines Postens enthoben werden.“

Zum sachlichen Inhalt der Auseinandersetzungen meint Wilhelm F. Czerny: „Man kann doch nicht davon ausgehen, daß ein österreichischer Katholik an die soziale Marktwirtschaft ,glauben* muß oder daß er nicht Sozialist sein darf.“ Das Handelskammer- Grundsatzprogramm sei gesellschaftspolitisch und sozialethisch und nicht unter dem Gesichtspunkt, wel ches das wirksamste Wirtschaftssystem sei, analysiert worden.

Der Sozialakademie, in der er ebenso wie Josef Taus, Herbert Kohlmaier und andere bekannte Personen zu den Referenten (Dozenten) der „ersten Stunde“ zählte, erkennt Czerny das gleiche Recht zu, über Fragen der Wirtschaftsordnung unter „biblischen“ Aspekten nachzudenken, wie etwa den Protestanten. Einer der letzten evangelischen Kirchentage in der Bundesrepublik habe sich unter anderem mit der Frage befaßt: „Ist Wettbewerb christlich?“

„Die christliche Religion“, argumentiert Czerny, „ist nicht mit dem Gebot in die Welt getreten, daß der Starke den Schwachen ,auffressen* soll, sondern daß er im Sinne der Nächstenliebe für den Schwächeren eintreten und unter Umständen Leistungen erbringen muß.“

Freilich werde dieses Menschenbild immer wieder als utopisch abgetan: „Das darf Vertreter einer Soziallehre der Kirche aber doch nicht davon abhalten, darüber nachzudenken, ob man die Menschen und die Zustände nicht doch verbessern könnte.“ Daß man der KSÖ ihr Eintreten für „weltfremde“ Ideale verüble, zeige die Gefahr, daß die Kirche nur unter dem Gesichtspunkt „realistischer“ Parteipolitik gesehen werde.

In seiner Beurteilung der KSÖ leugnet Wilhelm F. Czerny freilich nicht, daß der Übergang von Pater Riener auf Pater Büchele eine gewisse Schwerpunktverlagerung mit sich brachte: „Schulung und Praxis stehen heute mehr im Vordergrund, während unter der Leitung von Pater Riener der Auftrag a£ls .Akademie* stärker "hfeffifek- sichtigt und an der theoretischen Weiterentwicklung der kirchlichen Soziallehre bewußt mitgearbeitet wurde.

Die unter Herwig Büchele vorgenommene Schwerpunktverlagerung sei aber auch riskanter. Czerny: „Je konkreter und praktischer die Stellungnahmen ausfallen, desto mehr müssen sie sich zwangsläufig vom objektiv gesicherten Gedankengut allgemeingültiger Grundsätze einer christlichen Soziallehre entfernen. Aussagen, die gewissermaßen schon Handlungsanleitungen enthalten, sind immer anfechtbarer als abstrakte oberste Prinzipien.“

Als eine der Hauptursachen für die oft öffentlich zur Schau getragene Uneinigkeit der österreichischen Katholiken konstatiert Czerny das zu stark ausgeprägte Einzelkämpfertum: „Ich glaube, daß in der Struktur des österreichischen Katholizismus ein Mittelbau fehlt. Es gibt die Bischofskonferenzen und die .kirchenamtlichen* Aussagen einerseits. Auf der anderen Seite haben wir den einzelnen Katholiken, der der ÖVP, der SPÖ oder der FPÖ nahesteht beziehungsweise in dieser und jener Frage legitim seine persönlichen Interessen vertritt. Was uns fehlt, ist die Mittelinstanz, die sich konkreter äußern könnte als die Bischofskonferenz und jene Anliegen öffentlich vertreten müßte, die allen Katholiken gemeinsam sind, bevor sie in interessenbedingte Gruppen oder parteipolitische Gesinnungsgemeinschaften auseinanderfallen. Ob dies besser eine Konstruktion erreicht, wie sie unter dem Stichwort .Nationalkomitee der österreichischen Katholiken* oder als regelmäßig wiederkehrende .gesamtösterreichische Synode* vorgeschlagen wurde, müßte sorgfältig überprüft werden.“

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