6890549-1979_44_06.jpg
Digital In Arbeit

Der Vatikan zur Rüstung

19451960198020002020

Eine neue Publikation der Katholischen Soziallehre

19451960198020002020

Eine neue Publikation der Katholischen Soziallehre

Werbung
Werbung
Werbung

Mit Thesen, die nicht von jedermann akzeptiert werden, ist die Katholische Sozialakademie Österreichs schon öfters: an die Öffentlichkeit getreten. Und schon mehrmals haben Pater Herwig Büchele SJ, der Leiter der Sozialakademie, und seine Mitarbeiter damit genau das erreicht, was sie bezweckt hatten: Sie provozierten Gegenthesen und brachten Diskussionen über das katholische Lager hinaus in Gang. Widerspruch dürfte sich auch gegen Thesen erheben, die in der jüngsten Publikation der Sozialakademie „Der Vatikan zur Rüstung“ zu finden sind, wenngleich „sehr zu begrüßen ist“ - so auch Kardinal König im Vorwort zur Broschüre -, daß sich die Sozialakademie der Rüstungsproblematik annimmt. Die Präsentation der Schrift fiel zeitlich zusammen mit der Abrüstungswoche der Vereinten Nationen (24. bis 30. Oktober), mit der die UNO alljährlich die Weltöffentlichkeit für die Sache der Abrüstung mobilisieren will.

Das Dokument „Der Heilige Stuhl und die Abrüstung“, um das sich die jüngste Publikation der Katholischen Sozialakademie dreht, ist schon älteren Datums. Erstellt wurde es von der Päpstlichen Kommission Justitia et Pax, nachdem die Generalversammlung der UNO den Vatikan am 12. Dezember 1975 zu einer Stellungnahme eingeladen hatte.

Anfang 1977 wurde es schließlich im Auftrag des Vatikan vom UN-Ver- treter des Papstes den Vereinten Nationen zugeteilt.

Wie auch Kardinal König im Vorwort zur Broschüre der Sozialakademie feststellt (siehe untenstehenden Kasten), ist dieses Dokument nicht allzuweit bekannt geworden. Das will die Sozialakademie mit der Neupublizierung nun nachholen - zumindest in Österreich.

Dem vatikanischen Text vorangestellt ist ein in die Rüstungsproblematik einführender Beitrag von Pater Herwig Büchele. In einem zweiten Beitrag interpretiert Pater Raymund Schwager SJ, Professor für systematische Theologie an der Theologi schen Fakultät der Universität Innsbruck, das Dokument.

Daß die Reaktionen auf das Rüstungsdokument des Heiligen Stuhles anläßlich seiner Erstveröffentlichung alles andere als enthusiastisch waren, hat seine Gründe. Tatsächlich wird in diesem Dokument die Rü- stungs- und damit auch die Sicherheitspolitik in scharfer Weise angegriffen. Der Rüstungswettlauf bedeute eine Gefahr, eine Ungerechtigkeit, einen Irrtum, ein Vergehen und einen Wahnsinn. Denn - so das Dokument wörtlich:

„Dieses System internationaler Beziehungen, das auf Angst, Gefahr und Unrecht beruht, stellt eine Art kollektiver Hysterie dar; einen Wahnsinn, über den die Geschichte ihr Urteil fallen wird. Er ist sinnlos, weil er ein Mittel darstellt, das seinen Zweck verfehlt. Der Rüstungswettlauf garantiert keine Sicherheit.“

Damit nicht genug: Nicht nur, daß von der Kirche die derzeitige Situation in der Welt als „Pseudo-Sicherheit“ verurteilt wird, das Machtstreben der Großmächte erfährt eine vernichtende Kritik, wenn es da heißt: „Der Rüstungswettlauf ist ein Wettlauf der Macht geworden. Er ist bereits zum Mittel geworden, den schwächeren Nationen oder gar den gegnerischen Machtblöcken eine Herrschaft aufzuzwingen. Er steht daher im Dienst eines eindeutigen Imperialismus und Neokolonialismus.“

Dabei nimmt auch der Anteil der Länder der Dritten Welt an den jährlichen Rüstungsausgaben unverhältnismäßig rasch zu (siehe oben- stehende Grafik). Im Dokument des Vatikan wird dazu festgehalten: „Allein schon durch ihre Kosten töten sie (die Waffen) die Armen, denn sie verurteilen diese zum Hungertod.“

Bei aller Kritik weiß das Dokument zwischen Rüstung und Sicherheitsbedürfnissen aber sehr wohl zu unterscheiden. Gefordert wird ein Anhalten des Rüstungswettlaufes und ein Abbau der Waffenvorräte. Ausdrücklich wird aber festgestellt, daß es nicht um die Abschaffung der Waffen gehe.

Denn - so wird darin eine Aussage des Zweiten Vatikanischen Konzils zitiert: „Solange die Gefahr von Krieg ■ besteht und solange es noch keine zuständige internationale Autorität gibt, die mit entsprechenden Mitteln ausgestattet ist, kann man … einer Regierung das Recht auf sittlich erlaubte Verteidigung nicht absprechen.“

Die provokativen Thesen, von denen Pater Büchele anläßlich der Präsentation der Publikation sprach, finden sich weniger im vatikanischen Dokument selbst, als im einführenden Beitrag Bücheies und in der Interpretation von Professor Schwager

- etwa wenn Büchele feststellt, den USA garantiere das Wettrüsten ihre wirtschaftliche Vormachtstellung gegenüber der UdSSR, da die UdSSR durch dieses Wettrüsten dazu gezwungen werde, die absolute Priorität der Schwer- und Rüstungsindustrie auf Kosten der Konsumgüterindustrie einzuräumen.

Tatsache ist, daß die Sowjetunion seit der Revolution von 1917 ihre Produktionsenergien auf die Militärindustrie gesetzt hat und sich die Konsumgüterindustrie militärischen Zielen rücksichtslos unterordnen mußte und noch immer muß. Von Zwang seitens der USA kann wohl keine Rede sein…

„Provokatives“ findet sich auch bei Professor Schwager. Der allerschlimmste Fall bei einer „einseitig erwiderten Abrüstung“ des Westens

- meint Schwager-, „nämlich die defensive Besetzung Westeuropas“, wäre ein reales, aber erträgliches Übel.

Es muß doch zumindest die Frage gestellt werden, wie erträglich das Leben in einem kommunistischen Gesamteuropa noch wäre, wenn kein freier Westen mehr existierte…

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung