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„Einen Stock höher“ als Politik

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Fast drei Jahre, bevor die Enzyklika „Mater et Magistra“ erschien, am I. Oktober 1958, wurde in Wien von der österreichischen Bischofskonferenz, diese Papstworte gleichsam vorwegnehmend, die Katholische Sozialakademie gegründet, eine Institution, für die es in Österreich selbst; kein Vorbild, kein Beispiel gegeben hatte. Sie konnte sich aber von Anfang an auf die Vorarbeit einzelner Laien, hauptsächlich in katholischen Akademikerkreisen, stützen, die sich in der Folge dann um den Gründer und Direktor der Akademie, P. Dr. Walter Riener SJ., schärten und mit ihm das Arbeitsprogramm der Sozialakademie planten und verwirklichten. Somit leistet also die Katholische Sozialakademie nunmehr seit fünf Jahren mit immer stärker spürbar gewordener Breiten- und Tiefenwirkung politische Grundsatzarbeit in Österreich — das Wort Politik hier nicht im Sinne von Staats- oder Parteipolitik, sondern als Gesellschaftspolitik ver- ‘ standen.

Nur sehr selten stand die Katholische Sozialakademie in diesen fünf Jahren unmittelbar im Rampenlicht der Öffentlichkeit. Denn die Oberflächenwirkung und die von den politischen Parteien und den Interessengruppen angewandte Methode der Massenbeeinflussung durch die dazu dienenden Massenmedien war nicht in ihrem Programm. Es war daher gut, daß in diesen Tagen des fünfjährigen Jubiläums zweierlei getan wurde: Die Katholische Sozialakademie trat mit einem Rechenschaftsbericht vor die Öffentlichkeit, und sie nahm gleichzeitig die Gelegenheit wahr, um durch einen der berufensten Interpreten der katholischen Soziallehre, den Frankfurter Universitätsprofessor Dr. Oswald von Nell-Breuning SJ., den sie zu einem Festvortrag nach Wien einlud, eine größere Zuhörerschaft mit dem Gegenstand der fünfjährigen Bemühungen der Sozialakademie, nämlich mit dem Thema „Gesellschaftspolitik heute“, näher bekannt zu machen.

Der Schwerpunkt lag auf der Schulung

Die Sozialakademie hat während der fünf Jahre ihrer bisherigen Tätigkeit ihre Bildungsaufgaben auf gesellschaftspolitischem Gebiet als ersten und wichtigsten Ansatzpunkt jedes weiteren Wirkens wahrgenommen. Die sozialpädagogische Arbeit wird in Österreich — und das trifft beinahe auf alle Institutionen mit einschlägigem Aufgabenkreis zu — viel zuwenig wahrgenommen. In den Schulen wird der ganze Themenkreis noch immer vernachlässigt, und so stehen auch heute noch viele gebildete Menschen vor den wichtigsten und brennendsten Fragen des menschlichen Zusammenlebens, vor den Problemen der Arbeitswelt, eines gesellschaftspolitischen und weltanschaulichen Pluralismus, des Wirtschaften und schließlich als Staatsbürger dem Staat und den Parteien gegenüber ratlos, der Beeinflussung durch verschiedenste Interessengruppen preisgegeben. So war es das Ziel der Katholischen Sozialakademie auf diesem vielleicht wichtigsten und vordringlichsten sozialpädagogischen Gebiet, eine katholische Führungsschicht nicht nur mit der Soziallehre der Kirche, sondern mit den Sozialwissenschaften überhaupt zu konfrontieren und auf diese Weise weiterzubilden. Dazu dienten vor allem die dreimonatigen Internatskurse, die zu Anfang eines jeden Jahres in zwei Jahrgängen abgehalten wurden. Die österreichische Bischofskonferenz hat die Reise- und Aufenthaltskosten der Teilnehmer und auch den Ersatz eines etwaigen Lohnausfalles übernommen. Die insgesamt 30 Lehrfächer dieser Kurse umfassen die wichtigsten Disziplinen der Wirtschafts- und Sozialwissenschaft, der Rechtswissenschaft, der Wissenschaft von der Politik, und machen die Hörer unter anderem auch mit den Grundbegriffen der katholischen Soziallehre, der Aszetik und der Apologetik bekannt. Nach Ablegung der vorgeschriebenen Prüfungen erhält jeder Hörer ein Abgangszeugnis, das bezeugt, daß der Absolvent diese? Lehrganges Kenntnisse er- ( worben hat, die ihn, zur Erfüllung der Aufgaben eines Betriebsrates oder eines Funktionärs in Berufsund Interessenorganisationen befähigen. Bisher haben 130 Teilneh-

mer diesen Internatskurs erfolgreich absolviert.

Die Katholische Sozialakademie veranstaltet außerdem auch noch einen politisch-sozialen Fernkurs (40 Studienwochen in zwei Jahren) mit Lehrbriefen. Die Teilnehmer werden dabei nach und nach zu Wochenendtagungen in einzelnen Diözesen eingeladen, bei denen die Dozenten der Sozialakademie Vorträge halten. Auch da erhalten die Teilnehmer Zeugnisse, die bestätigen, daß der Betreffende den zweijährigen politisch-sozialen Fernkurs der Katholischen Sozialakademie absolviert, die vorgeschriebenen schriftlichen Arbeiten abgeliefert und die mündlichen Teilprüfungen mit Erfolg abgelegt hat. Der Lehrstoff des Fernkurses umfaßt folgende Gegenstände: Christliche Soziallehre,

österreichische Geschichte, Rechtsordnung, Österreich in der Welt, Grundbegriffe der Volkswirtschaftslehre, Wirtschaftspolitik, Grundbegriffe der Soziologie, Sozialpolitik und Kommunalpolitik. Bisher haben 2400 Personen aus ganz Österreich an dem Fernkurs teilgenommen.

Die Dozenten und Mitarbeiter der Sozialakademie bilden einen Kreis, der in etwa 14tägig abgehaltenen Referaten, Diskussionen, in (insgesamt 85), Denkschriften, Exposés und internen Informationen die konkrete gesellschaftspolitische Situation in Österreich zu erfassen und an den Grundsätzen der katholischen Soziallehre zu messen versucht hat. Nur ein kleiner Teil des Erarbeiteten wurde veröffentlicht. In der Buchreihe der Sozialakademie erschienen bisher von Professor

Dr. Johann Schasching SJ. „Kirche und industrielle Gesellschaft“ und von Rudolf Weiler „Wirtschaftswachstum und Frauenarbeit“, in der Broschürenreihe Diskussionsbeiträge über das Wohnungsproblem in Österreich, die österreichische Wirtschafts- und Sozialpolitik und die Frage „Was verdient der Österreicher?“. Die Sozialakademie verfügt über einen 14tägig erscheinenden Informationsdienst. Ein Katholisches Soziallexikon, das im nächsten Jahr erscheinen soll, ist, unter der redaktionellen Leitung von DDDr. Alfred Klose und der Mitarbeit von mehr als hundert Fachleuten, in Vorbereitung. Wissenschaftliche Arbeitstage, Konferenzen für die Sozialreferenten der Diözesen, Tagungen und Kurse für Seelsorger, für verschiedene katholische Organisationen, hat die Sozialakademie in den abgelaufenen Jahren veranstaltet; die Reihe der Vorträge, welche Dozent ), der. .Sozialakademie in 4?n .fq’ni Jafe p,,vor, ‘verschiedenen Auditorien gehalten, haben, ist nicht mehr zu überblicken.

Der Mensch: nicht Objekt, sondern Subjekt

Der Direktor der Sozialakademie sprach in seinem Rechenschaftsbericht vor Vertretern der Presse über die Verpflichtung der Christen in der Demokratie, keine Kirchenpolitik, sondern Gesellschaftspolitik zu betreiben und das heißt, die Brauchbarkeit sozialethischer Grundsätze im Sinne von „Mater et Magistra“ für die Lösung aktueller Probleme in Staat und Gesellschaft aufzuzeigen. Diese Überlegungen befänden sich „um einen Stock höher“ als die — freilich ebenso notwendige — parteipolitische Arbeit. Die Bischofskonferenz habe die Selbständigkeit der Arbeit der Sozialakademie stets geachtet. Die Demokratie könne nur mit Demokraten verwirklicht werden. Demokrat werde man erst durch Erziehung. Die Menschen müssen erst diskussionsfähig gemacht werden. Hierzu stellte Prof. Nell-Breuning fest: In der pluralistischen Gesellschaft von heute ist die Aufgabe der christlichen Soziallehre, Lösungen zu finden — keine Patentlösungen, sondern nur klare, saubere Teillösungen, die auch von den Bekennern anderer Weltanschauungen akzeptiert werden können, auf dem Weg zu einer Ordnung, in der sich jeder wohlfühlen kann und keiner sich vergewaltigt fühlen muß. Der Mensch müsse auch in der Verbändegesellschaft von heute — und vor allem dort, wo er seinen Arbeitstag verbringt — eine „Subjektstellung“ einnehmen, er dürfe in keine Objekt-Rolle mehr zurückgedrängt werden. (Prof. P. Gund- lach SJ.)

Grundsatztreue, Toleranz, keine fertigen Lösungen, sondern mit wissenschaftlichem Ernst erarbeitete Beiträge zur Lösung des großen gesellschaftspolitischen Anliegens der christlichen Ssziallehre: mit diesem Programm setzt die Katholische Sozialakademie ihren Weg in einer sich ständig verändernden Welt, in der auch Österreich keine Ausnahme darstellt, fort. Man wird als Politiker, als Wissenschaftler, als Journalist gut daran tun, diesen Weg genauestens zu verfolgen.

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