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Mut zum Auftrag

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Die „Oesterreichische Furche“ hat vor Jahresfrist in einem Artikel „Der gelähmte Flügel“ ein organisatorisches Manko im Fehlen einer lebendigen, vom Feuer der katholischen Soziallehre entflammten Arbeiterbewegung aufgezeigt. Diese Gewissenserforschung hat in späterer Folge, im Zusammenhang mit dem Heimgang unseres unvergeßlichen Vaters Kunschak, eine lebhafte Diskussion ausgelöst. Die Notwendigkeit einer katholischen Arbeiterbewegung wurde bejaht, praktisch aber geschah noch sehr wenig. Die bittere Kritik Professor Dr. Burghardts an den Kreisen, die jede Organisation ablehnen und sich in unfruchtbaren Diskussionen verschiedener Zirkel verlieren, hat wieder einmal ihre Bestätigung gefunden.

Es gibt wahrhaftig keinen triftigen Grund, das große Apostolat katholischer Sozialarbeit sozusagen aufs Eis zu legen, und wir sind in Oesterreich durchaus nicht in der glücklichen Lage, dieser Arbeit enthoben zu sein, etwa weil die sozialen Fragen unserer Zeit alle gelöst erscheinen, oder weil man sich damit zufrieden gibt, daß diese Probleme auf der parteipolitischen Ebene schlecht und recht ihre Betreuung finden. Wir werden niemals den Idealzustand erleben, daß es keine sozialen Probleme zu betreuen und zu lösen gibt, da die fortschreitende Entwicklung die Menschheit immer wieder vor neue stellt. Es ist ferner irrig, zu glauben, daß politische Macht ausreicht, einer wahren sozialen Gerechtigkeit Wegbereiter zu sein. Dazu sind geistige Kräfte und Bewegungen nötig, die einer fundierten ethischen Grundlage entspringen. Der große Mainzer Bischof v. Kette- ler, dessen Wirken im vergangenen Jahrhundert in eine Zeit großer sozialer Umwälzungen fiel, nannte alle sozialen Bestrebungen eitel und vergeblich, deren Grundlage nicht Religion und Sittlichkeit bilden. Kettelers soziale Leitsätze haben Jahrzehnte später auch in den päpstlichen Sozialenzykliken ihren Niederschlag gefunden.

Daraus ergibt sich für uns Katholiken eine besondere Verpflichtung, katholische Sozialarbeit als ein wahrhaft katholisches Apostolat zu leisten. Wir bemühen uns heute in dankenswerter Weise in den Gliederungen der Katholischen Aktion um eine ganze Reihe zeitgemäßer Apostolate; so um die innere Erneuerung des einzelnen, der Familie, der Pflege verschiedener karitativer Werke usw. Ja, wir stellen in den Richtlinien für die katholische Männerbewegung die Aufgabe, die Erneuerung des Berufslebens und der ganzen Gesellschaft im christlichen Geiste voranzutreiben. Praktisch steht diese Apostolatarbeit auf dem Papier, wenn man von der gewiß anerkennenswerten Arbeit in der KAJ und den noch sehr dürftigen Versuchen, eine katholische Arbeiterbewegung zu aktivieren, absieht. Dabei ist die Bedeutung und Wichtigkeit dieses Apostolates so groß, daß es schon 1945 hätte vorangestellt werden sollen. Es wurden damit Chancen verpaßt, die uneinbringliche Schäden und Nachteile zur Folge hatten. Es gibt heute weder in der Katholischen Aktion noch außerhalb eine offizielle Stelle oder Organisation, die mit dieser Aufgabe betraut wäre. Dabei wird namentlich bei Werktätigen, und hier besonders bei den Jungarbeitern, immer wieder das Bedürfnis nach katholischer Sozialarbeit laut. Die ablehnende Haltung hiefür zuständiger Kreise wird nicht verstanden und als im höchsten Maße lebensfremd bezeichnet. Man wundere sich daher nicht, wenn sich heute der Sozialismus in Oesterreich die Totalitätsrepräsentanz für soziale Arbeit anmaßt — es gibt ja keine katholische Repräsentanz für soziale Arbeit! Man täusche sich nicht: das ist auch der Grund, warum die Arbeiterwelt auf weiten Strecken der Kirche entfremdet wird.

In Deutschland liegen die Dinge trotz der konfessionellen Verschiedenheiten besser als bei uns. Für beide Konfessionen galt es von allem Anfang an, die konfessionelle Sozialarbeit als ein primäres Postulat zu pflegen und von diesen Stellen aus auch das öffentliche Leben zu befruchten. So erklärte mir vor kurzem Verbandspräses Dr. Schmitt (Köln), daß die katholische Sozialarbeit der katholischen Arbeitervereine eine der tragenden Säulen der katholischen Männerbewegung ist. Aehnlich liegen auch die Verhältnisse in Bayern und Württemberg in den Organisationen für das werktätige Volk. Auch auf evangelischer Seite ist es nicht anders. Diese schöpferische Sozialarbeit beider konfessio neller Bewegungen im Reich setzt sich auch im öffentlichen Leben durch; sie hat ihre Vertreter in parlamentarischen Körperschaften. Arbeitersekretariate, über das ganze Reich verteilt, bilden wertvolle Kräftezentren, und die Arbeiterseelsorge der Präsides ist ein unschätzbarer Gewinn für die Katholische Aktion. Die Existenz beider Bewegungen macht aber auch den Sozialisten die Ansprüche auf eine Totalitätsrepräsentanz streitig und zwingt sie zur Revision ihrer Haltung gegenüber den beiden christlichen Kirchengemeinschaften.

Diese Tatsachen müssen auch uns zu denken geben und uns an längst fällige Verpflichtungen erinnern. Das Bekenntnis zur katholischen Soziallehre allein genügt nicht, wir bedürfen z w e c k b e s t i m m t e r Organisationen, die diesem Aufgabengebiet auch Leben geben. Das Prinzip der Ablehnung vereinsmäßiger Organisationen erscheint doch schon in mehrfacher Hinsicht durchbrochen, so z. B. beim Kolping-Werk, bei der Vereinigung katholischer Hausgehilfinnen, bei den Lehrervereinen usw. Warum soll es im katholischen Oesterreich keine unabhängige, einen beträchtlichen Teil der werk tätigen Katholiken umfassende katholische Arbeiterbewegung geben?

Wir bedürfen ihrer als notwendiger Ergänzung für die religiöse Erneuerung der Arbeiterwelt. Damit ist sie auch schon ein lebenswichtiger Teil der Katholischen Aktion. Sie ist es aber auch dadurch, daß sie Wegbereiter für soziale Arbeit in christlichem Geiste ist und damit auch das öffentliche Leben mit diesem Geiste erfüllt. Eine Konkurrenzierung von Gliederungen der Katholischen Aktion, die man anscheinend befürchtet, ist nicht zu sehen. Die Erfahrungen im Reich beweisen das Gegenteil. Hunderttausende haben dort so den Weg zur religiösen Erneuerung gefunden. In Wort und Schrift und sozialen Schöpfungen formt katholische Sozialarbeit eine vom christlichen Geiste erfüllte soziale Kultur. Im evangelischen Volksteil strebt man denselben Zielen zu. Beiden ist Religion und Sittlichkeit Grundlage alles sozialen Schaffens.

Besinnen wir uns auch in Oesterreich des vergessenen Apostolats, der stärkeren Aktivierung katholischer Sozialarbeit. Es kann noch gutgemacht werden, was durch Versäumnisse der letzten Jahre angerichtet wurde.

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