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Soziale Marktwirtschaft das unbekannte Wesen?

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Zum Artikel von Herbert Kohl-maier in der FURCHE vom 30. Juni über eine sehr unglückliche Stellungnahme der Katholischen Sozialakademie Österreichs hat nun die KSÖ in der letzten Nummer ihrer „Nachrichten und Stellungnahmen“ vom 15. Juli 1978 eine „Dokumentation an Stelle einer Erwiderung“ gebracht. Die AZ vom selben Tag bezeichnete dies als „Feine Klinge gegen Kohlmaier“ seitens der Sozialakademie, die in „eleganter, für den ÖAAB-Geschäftsführer aber wenig schmeichelhafter Form“ auf die Angriffe replizierte, die Kohlmaier in der FURCHE gegen sie richtete.

Die Konfrontation des „Linzer pr0. gramms der christlichen Arbeiter Österreichs“ von 1923, des „Wiener Programms der österreichischen Arbeiterschaft“ vom 9. Februar 1946 -beide vom damaligen Theoretiker der christlich-sozialen Arbeiterbewegung Prof. Lugmayer maßgeblich beeinflußt - und den Klagenfurter Beschlüssen vom Mai 1972 auf der einen mit den Äußerungen des Repräsentanten des ö AAB auf der anderen Seite ist weder eine „feine Klinge“ noch „elegant“ - sie ist ganz einfach nichtssagend, da sie Äußerungen zu ganz verschiedenen Dingen einander gegenüberstellt: Stellungnahmen zu konkreten historischen wirtschaftlichen Zuständen und eine Stellungnahme zu

einer ordnungspolitischen Konzeption.

Ob die zitierten Stellungnahmen in der Vergangenheit der katholischen Sozialethik gerecht wurden, ist hier unmaßgeblich. Entscheidend ist, daß die KSÖ diese den Äußerungen Kohl-maiers zum ordnungspolitischen Leitbild der Handelskammerorganisation gegenüberstellt.

Daß die Wirklichkeit' selbst dort noch viele Wünsche - auch sehr wesentliche - offen läßt, wo diese Kon-

zeption da und dort bestenfalls teilweise verwirklicht werden konnte, ist eine Binsenweisheit. Hätte der Autor auch des zweiten KSÖ-Artikels von der theoretischen Literatur um die Soziale Marktwirtschaft auch nur die geringste Ahnung, dann wüßte er, welcher scharfen Kritik das gegenwärtige Wirtschaftssystem dort unterzogen wird: von der mangelhaften Verwirklichung des Wettbewerbs bis zur grundsatzlosen, meist punktuellen Interven-

tion der staatlichen Bürokratie in den Wirtschaftsprozeß.

Wer unter „Sozialer Marktwirtschaft“ die weitaus dominierende Linie Müller-Armacks und seiner Schüler versteht, mit bewußter zweiter Einkommensverteilung, Setzung möglichst konstanter Rahmenbedingungen, Konjunktur- und Strukturpolitik, muß zum Ergebnis kommen, daß in dieser Konzeption der Sozialen Marktwirtschaft unter den heute gegebenen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umständen eine vergleichsweise sehr nahekommende

Konkretisierung der christlichen Sozialprinzipien in Staat und Wirtschaft gesehen werden kann.

Dazu sollen aus dem Lager der christlichen Soziallehre zwei Zeugen aus angesehenen Institutionen angeführt werden: Nach J. Oelinger (Katholische Sozialwissenschaftliche Zentralstelle in Mönchengladbach) kann die Soziale Marktwirtschaft aus den Ordnungs- und Gestaltungsvorschlägen der katholischen Gesellschafts-

lehre heraus als eine humane Ordnung geformt werden, die die Grundwerte von Freiheit und Gerechtigkeit zugleich verwirklicht. Für B. Gemper (Evangelische Akademie in Loccum) ist die Soziale Marktwirtschaft eine glückliche Symbiose zwischen freiheitlicher Gesellschaftsordnung und effizienter Wirtschaftsordnung.

Ist dem Autor des KSÖ-Kommen-tars die Auseinandersetzung und die sozialethische Beurteilung des Ordnungssystems der Sozialen Marktwirtschaft aber bekannt, dann kann die Ignorierung derselben nur als taktischer Weg angesehen werden, einer offenen Parteinahme aus dem Weg zu gehen. Oder aber die KSÖ will - wie es der offiziellen Haltung der österreichischen Sozialisten heute entspricht (vom kürzlich verabschiedeten Parteiprogramm bis zum Vizekanzler-Finanzminister) -jenes marktwirtschaftliche System ignorieren, das auch der sozialen Verantwortung gerecht wird, um gegen alles, was Marktwirtschaft heißt, um so leichter ankämpfen zu können. Ob dieses etwas sehr simple Konzept - für beide - auch wirklich aufgehen wird, ist mehr als fraglich.

Aus sozialistischen Kreisen hört man schon, daß es ein schwerer Fehler war, sich dieses so positiv besetzten Begriffes „Soziale Marktwirtschaft“ zu entledigen.

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