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Kein Konsens mehr?

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Wenn auch die Ideologiedebatte bisher noch keine sehr profilierten Aussagen seitens der ÖVP, vor allem aber noch keine Konsequenzen für die politische Praxis gebracht hat, eines hat sie bewirkt: Die Sozialisten werden aus der Reserve gelockt, sie beginnen sich ideologisch zu deklarieren, die Abgrenzungen zwischen den beiden Großparteien werden präziser, der Verballiberalismus, der es den Sozialisten möglich gemacht hat, die politische Mitte zu infiltrieren, wird unglaubwürdiger.

In diesem Sinne hat die Breitseite, welche SP-Generalsekretär Blecha aus der äußersten linken Ecke gegen die soziale Marktwirtschaft abgefeuert hat, sehr viel zur Klärung der Positionen beigetragen. Einer der Kardinalpunkte der „Liberalisierung“ des Sozialismus in den sechziger Jahren bestand ja im Bekenntnis zur Sozialen Marktwirtschaft, im

Verzicht auf Dirigismus und Verstaatlichung, die bis dahin zentrale Anliegen waren. Es muß nun mit aller Deutlichkeit klargestellt werden, ob die damals mit Nachdruck propagierte Liberalisierung der SPÖ nur eine taktische Finte zur Eroberung der Macht oder ein aufrichtiger Gesinnungswandel war.

Es ist jedenfalls auffällig, daß in einer Zeit, in welcher der deutsche Bundeskanzler Schmidt sehr dezi-diert das Bekenntnis zur Sozialen Marktwirtschaft erneuert und deren Gegnern in der SPD eine klare Absage erteilt, in Österreich keineswegs ein Außenseiter, sondern jener Mann, der immer mehr zur Grauen Eminenz der SPÖ wird und welcher deren politische Linie entscheidend prägt, den Startschuß zu einer Diffamierungskampagne gegen die Soziale Marktwirtschaft abgibt. Damit leistet er jedenfalls einen sehr ent-

larvenden Beitrag zur Ideologiedebatte.

Gerade die Soziale Marktwirtschaft ist nämlich eines jener Prinzipien, hinsichtlich deren bislang Konsens zwischen allen im Parlament vertretenen Parteien bestanden hat. Sie ist zweifellos einer der konstitutiven Faktoren des österreichischen Demokratieverständnisses.

Wenn Blecha die Soziale Marktwirtschaft als Instrument zur Durchsetzung von Unternehmerinteressen definiert, sie also als bloße Camouflage eines sonst nicht mehr verkäuflichen Kapitalismus diskreditiert, so tut er dies zweifellos wider besseres Wissen. Es steht ihm danach nicht an, „Haltet den Dieb“ zu rufen und die verärgerte Reaktion der Gegenseite als deren Radikalisierung zu denunzieren.

Blecha kommt mit seiner Definition in Substanz und Methode be-

denklich nah an den Kommunismus heran. In der Substanz dadurch, daß er eines der wichtigsten und erfolgreichsten Instrumente zur Überwindung der Klassengegensätze — welche ja der Kommunismus mit allen Mitteln zu hintertreiben sucht — attackiert, ein Instrument, welches gerade der breiten Masse der Arbeitnehmer die größten Vorteile brachte.

Gleichzeitig wendet er auch typisch kommunistische Methoden an, indem er durch Unterstellungen einen Begriff ins Zwielicht rückt und die Bevölkerung dadurch politisch desorientiert. Ist das einmal gelungen, kann man auch die hinter dem Begriff stehende Realität abschaffen, ohne auf ernsten Widerstand zu stoßen.

Die Soziale Marktwirtschaft ist das Resultat der Erkenntnis, daß der marxistische Weg zur Lösung der sozialen Probleme versagt hat und andere Wege gesucht werden müssen. Seit einem Vierteljahrhundert hat sie sich nur als die bessere Methode bewährt. Sicherlich ändern sich die Probleme, und auch die

Soziale Marktwirtschaft wird sich weiterentwickeln müssen. Dies ist aber kein Grund, sie in ihrer Gesamtheit als obsolet zu bezeichnen und sie gar durch ein noch obsoleteres System zu ersetzen, das sich bereits eindeutig als das schlechtere erwiesen hat.

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