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Wichtiger als die Wirtschaft

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WAS WICHTIGER IST ALS WIRTSCHAFT. Vorträge auf der 15. Tagung der Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft am 29. Juni 1960 in Bad Godesberg. Martin-Hoch-Verlag, Ludwigsburg. 92 Seiten.

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WAS WICHTIGER IST ALS WIRTSCHAFT. Vorträge auf der 15. Tagung der Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft am 29. Juni 1960 in Bad Godesberg. Martin-Hoch-Verlag, Ludwigsburg. 92 Seiten.

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Der vorgelegte Tagungsbericht enthält eine Reihe ausgezeichneter Referate von Vertretern jener Richtung der Sozialwissenschaften, die sich zur „Sozialen Marktwirtschaft“ bekennt.

Der führende Kopf der Gruppe, Alexander Rüstow („Wirtschaft als Dienerin der Menschlichkeit"), nimmt gegen den Paläoliberalismus Stellung, der sich nun auch als neoliberal auszuweisen versucht. Auf diese Weise kommt es zu einer Verdeckung der tatsächlichen Ziele der Neoliberalen, die sich Vorhalte machen lassen müssen, die eigentlich den Altliberalen zu machen wären. Die Neoliberalen bekennen sich zur Marktwirtschaft nicht wegen der in ihr angelegten Gewinnchancen, sondern wegen der hohen Produktivität, die sie konstituieren hilft. Weil für die. Marktwirtschaft, sind die Neoliberalen gegen jede Form von Monopol, aber auch gegen jene Form von Sozialisierung, die sich etwa in den Kinderbeihilfen ausweist. Jedenfalls ist es der Marktwirtschaft aufgegeben, um des Menschen willen da zu sein. Wo eine Marktkonstellation diese Aufgabe nicht zu erfüllen vermag, steht sie in Widerspruch zu den Gedankengängen der Neoliberalen.

W. Röpke („Wirtschaft und Moral") ging davon aus, daß das wirtschaftliche Verhalten notwendig Von moralischem Belang sei. Dieser Tatbestand muß beachtet werden denn „die Marktwirtschaft ist nicht genug“. Anderseits nahm der Autor gegen den natiönalökoriomischen Dilettantismus von Moralisten Stellung und sprach sich für die Notwendigkeit einerseits von Marktwirtschaft und auf der anderen Seite für die metaphysische Einordnung des Ökonomischen aus (Verbindung von „Waren und Werten").

Götz Briefs vermittelte . einen Einblick in, die Liberalismus-Kirche-Kontroverse, die er mit umfangreichem historischem Material belegte, und sprach von einem antiliberalen „Affekt" (?) der katholischen Soziallehre. Im Nacheinander der päpstlichen Enuntiationen zur Frage des Liberalismus kann man zwar keine Annäherung der Kirche an einen in seinen Ausgangspositionen verbliebenen Liberalismus sehen, sondern seine Wandlung zu einem Kapitalismus, der Chancen für eine ökonomische Absicherung der Versuche im Rahmen der Lösung der sozialen Frage bietet.

H. Walz legt ein Referat über „Protestantismus und neoliberale Wirtschaftsordnung" vor, U. Pufendorf referiert über die „Dringlichkeit einer aktiven Bildungspolitik“ und W. Frickhöffer über „Von der Rangordnung der Werte”.

Das vorliegende Buch reiht sich würdig in die bemerkenswerten Versuche des Liberalismus ein, sich gegenüber seinem Ursprung zu distanzieren. Begonnen haben diese Bemühungen mit Rüstows Werk „Das Versagen des Wirtschaftsliberalismus als religionsgeschichtliches Problem" (1945) und mit den ersten Hinweisen von liberaler Seite, daß Christentum und Liberale gegen den gleichen Gegner stehen, den orthodoxen Liberalismus wie den Kollektivismus. Im Negativen mag viel Gemeinsames da sein. Das zu bestreiten heißt die Ereignisse der Nachkriegszeit übersehen, Öb im Positiven gleich viel an Gemeinsamkeiten vorhanden ist, muß freilich bezweifelt werden. In diesem Zusammenhang sei auf das Werk eines Dominikaners verwiesen (E. E. Nawroth; „Die Sozial- und Wirtschaftsphilosophie des Neoliberalismus“, Kerle, Heidelberg), der, bei Feststellung des Positiven im gegenseitigen Verhältnis von Neoliberalen und gläubigen Katholiken, die Fixierung der Neoliberalen etwa auf Marktkonformität (Gemeinwohl als Resultat von Markteffekten) oder auf die Unterscheidungen in der Eigentumsauffassung verweist.

Wie immer man nun das Glaubensgebäude des Neoliberalismus deutet oder es erst konstruiert, bemerkenswert ist jedenfalls, daß im Rahmen eines wachsenden Verständnisses der Kirche für die sozialökonomischen Sachverhalte ihr Gespräch sowohl mit dem Liberalismus wie mit dem Sozialismus intensiver wird.

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