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Leerformeln über das generelle Unbehagen

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Was ist liberal am Programm der Liberalen? Restbestände aufgeklärten Denkens und emanzipatorische Ansätze kommen zur Sprache.

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Was ist liberal am Programm der Liberalen? Restbestände aufgeklärten Denkens und emanzipatorische Ansätze kommen zur Sprache.

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Es geht einmal - wie zunächst alle Parteiprogramme - von fiktionalen Bestimmungen aus: ausgerechnet Politiker belehren uns, der Mensch würde im Mittelpunkt ihrer Bemühungen stehen und sie würden die Individualität dort zu schützen suchen, wo sie durch „Staat", soziales System und ökonomische Härten gefährdet erscheint. Es soll noch so etwas wie die Möglichkeit zu emanzipatorischer Entwicklung geben. Dafür will das Parteiprogramm Zeugnis ablegen, freilich innerhalb der Normen von Rechtsstaat und gesellschaftlichem Ausgleich.

Da der historische Liberalismus politisch und ökonomisch gescheitert war, hier allemal Anlaß zu rührenden Krokodilstränen über ein größeres, weil imaginär gebliebenes Österreich, schließt das Programm des „Liberalen Forums" lieber Kompromisse: die Wohnungsnot oder marktverzerrende Elemente im Mietpreis rufen die öffentliche Intervention auf den Plan, hingegen sollen die dysfunktionalen Körperschaften, besser bekannt als Sozialpartner, im Einfluß reduziert werden. Dort, wo rechtsstaatliche Regeln überholt oder hinderlich erscheinen, seien sie abzuschaffen, Verfassungsbestimmungen sollten überhaupt das Quorum der Zweidrittel-Mehrheit im Parlament verlieren, hin-

(;egen sollte es neue öko-ogische Gesichtspunkte gehen, die die Ressourcen für die Zukunft sichern helfen sollten.

Generell wird von einem Freiheitsbegriff ausgegangen, dem schwer zu erwidern ist, so umfassend und großsprecherisch ist er. Allgemein gilt, daß keine einzige Partei ernsthaft Freiheit in Abrede stellt. Das „Liberale Forum" glaubt, sich gegen „Tendenzen einer verordneten' Gesellschaft" wenden zu müssen, „in der das soziale Zusammenleben der Menschen durch ideologisch motivierte Normvorstellungen geregelt wird". Es formuliert mittels Leerfor-meln ein generelles Unbehagen, für dessen Beseitigung Grundzüge, die noch nicht den Ansprüchen eines philosophischen Proseminars genügen, hinlänglich reichen sollen. In der Geschichte des Liberalismus waren die „denaturierenden" Tenden-

nem Sozialdarwinismus zur Heilung überantwortet worden, der, was ungern gesehen wird, trotz hochherziger Bemühungen in die Katastrophe von 1914 mündete. Diesen will das „Liberale Forum" nicht mehr. In seiner Kulturpolitik will es sich sogar grundsätzlich zur Aufklärung in allen Belangen durchringen.

Doch welche Aufklärung ist heute fällig? Das „Liberale Forum", wenigstens in dem Punkt gut unterrichtet, schließt an den Laizismus des 19. Jahrhunderts an, freilich mit einem für Osterreich typischen Beigeschmack von Antiklerikalismus.

Darin ist das „Liberale Forum" sogar besonders aufmerksam. Es will die österreichische „Konkordatskultur" hinterfragen, die konfessionellen Schulen wie weiland vor hundertdreißig Jahren unter die Lupe der Aufgeklärtheit nehmen. So sehr die Individualität von Glaubensentscheidungen akzeptiert wird, nach Ansicht der Programmgestalter entbehren diese einer verbindlichen Bationa-lität!, so dürfen diese Inhalte keine Norm oder verpflichtende Werthaltung mehr sein. Vom Liberalismus zum Libertinismus ist {offenbar ein schnurgerader Weg als Erfolgsgeheimnis geplant.

Positiv am Programm ist dahingegen die selbstauferlegte Verpflichtung, der allgemeinen Tendenz zur Diskriminierung von Zuwanderem und Asylanten entgegenzutreten. Hier liegt auch der deutlichste Bruch mit dem historischen Deutschliberalismus des 19. Jahrhunderts vor.

Ferner will das „Liberale Forum" die Bevitalisierung des Parlaments als politischen Entscheidungsträger,

schaftlicher Selbstregelung" zurückdrängen, fromme Wünsche, die 1848 bei Hans Kudlich oder Lajos Kossuth mit konkreten Forderungen und Vorstellungen erfüllt waren.

Schließlich ist gerade deshalb das „Liberale Forum' in der schwierigen Situation, weniger wegen seiner geringen Stärke als Partei, sondern sich in der Formulierung tragfähiger Perspektiven auszuzeichnen, hatte man sich doch weitgehend an einer angeblichen politischen Wirklichkeit in Osterreich orientiert, nicht am Entwurf eines grundlegenden Werkes, um die vielfaltigen Krisen zu überwinden. Damit erfährt das politische Spektrum eine Abrundung und gleichsam die Vollendung, wie es der Abenddämmerung der parteienstaatlichen Demokratie zukommt.

Diese Klippe wird auch nicht der Wunschtraum überwinden, in der europäischen Integration jenes Altreich Europa neu und föderalistisch zu bilden, an dessen Niederlage der alte Liberalismus höchst interessiert gewesen war, nachdem seine ökonomischen Machtpläne nur mehr politisch zu sichern gewesen waren. Hat das „Liberale Forum" selbst diese alte Option noch im Auge, wenn es für die Steigerung des Wehrbudgets eintritt, selbst wenn es einmal einer europäischen Streitmacht gelten soll?

Nach der Reanimierung altliberaler Politik, in Österreich ein eher für Festreden geeignetes Lippenbekenntnis zu Toleranz, Weltoffenheit und unternehmerischer Tugend, will das „Liberale Forum" eine Alternative zu den bürgerlich-verbürgerlichten und kleinbürgerlichen Parteien sein. Wo die historischen Bezüge für die Gegenwart nicht mehr recht anwendbar erscheinen, bedient sich das Parteiprogramm der

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