Das liberale Dilemma

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Dem Liberalen Forum ging es nie wirklich gut. Jetzt geht es der Partei Heide Schmidts ausgesprochen schlecht. Ein Erklärungsversuch.

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Dem Liberalen Forum ging es nie wirklich gut. Jetzt geht es der Partei Heide Schmidts ausgesprochen schlecht. Ein Erklärungsversuch.

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Es wird ... sehr schwierig sein, sich politisch zu profilieren - unabhängig von der Person. Mittelfristig ist es ja möglich, mittels einer Person Wähler an eine Partei zu binden. [...] Möglich, daß Heide Schmidt so ein Persönlichkeitsprofil entwickeln kann. Aber die politische Programmatik, die sie vorlegen kann, wird nicht ausreichen ..."

Die Worte stammen nicht von irgendeinem griesgrämigen Kulturpessimisten oder notorischen Nörgler, sondern vom Wiener Philosophen Konrad Paul Liessmann (Jg. 1953). Im Gespräch mit dem Autor dieser Zeilen (publiziert in der Grazer Katholische-Hochschulgemeinde-Zeitschrift "Denken + Glauben") erklärte Liessmann im März 1993, also kurz nach Gründung des Liberalen Forums, warum er nicht an die Zukunft einer solchen politischen Gruppierung glaube.

Die zentrale These Liessmanns in diesem Interview: Die Grundprinzipien des Liberalismus haben sich durchgesetzt, sind fixer Bestandteil jeder modernen demokratisch-rechtsstaatlichen Ordnung. Presse-, Meinungs-, Religionsfreiheit werden - theoretisch zumindest - von niemandem in Frage gestellt; das Bekenntnis zur freien Marktwirtschaft ist, wenn auch mit diversen jeweiligen Zusätzen oder Abstrichen versehen, parteipolitisches Allgemeingut. Natürlich sind in all diesen Bereichen immer Verbesserungen denkbar, mag da und dort ein entschlosseneres Handeln wünschenswert sein; aber dies, so meinte eben Liessmann, werde als "politische Programmatik ... nicht ausreichen". Noch einmal der Philosoph im O-Ton: "Es liegt im Wesen des Liberalismus, daß er, sobald er sich als Rechtsnorm durchgesetzt hat, inhaltlich keine positiven politischen Ziele mehr hergibt. Er möchte ... einen formalen Rahmen abgeben, innerhalb dessen die Menschen bestmöglich ihre Ziele und Interessen definieren und verwirklichen können - aber er selber hat solche Ziele und Interessen nicht."

Weit gefehlt, antwortete der liberale Noch-EU-Parlamentarier Friedhelm Frischenschlager im Furche-Interview (Nr. 10/99), als er mit diesen Überlegungen konfrontiert wurde. Und verwies darauf, daß der Liberalismus, erstens, weltweit ein Minderheitenprogramm sei (geschenkt!) und wir, zweitens, auch in Österreich noch sozusagen in den liberalen Kinderschuhen steckten - in der Wirtschaft, im Bereich der Grund- und Menschenrechte. Fazit: "Wir sind keine offene Gesellschaft."

Auch nicht falsch. Trotzdem spricht vieles dafür, daß Liessmann damals recht hatte, als er dem Liberalen Forum eine nicht eben glänzende Zukunft prophezeite: nicht nur die Fakten (die unerquickliche Lage des LIF), sondern auch Grundsätzliches.

Nochmals: Liberale Prinzipien wie etwa die genannten "großen" Freiheiten bilden die Grundlage demokratischer Rechtsstaaten, sonst wären sie keine solchen. Etwas anderes ist die Frage, wie es mit deren Umsetzung in den verschiedensten Bereichen und auf den diversen Ebenen bestellt ist. Da es die vollkommene Gesellschaft und die vollendete politische Ordnung naturgemäß nicht gibt, bedarf es ständiger Korrekturen, ständiger "Mahnung": Immer sind etwa Individualrechte in Gefahr, beschnitten zu werden, stets lauert in der Wirtschaft die Gefahr des Protektionismus. Liberales Gedankengut ist also gewiß ein unverzichtbares Ferment politischer Gebilde. Es findet sich dementsprechend - unterschiedlich akzentuiert - auch in allen relevanten politischen Parteien.

Das Problem des Liberalen Forums aber liegt darin, daß es meint, dieses - stets notwendige - Einmahnen und Einbringen liberalen Gedankenguts sei an sich schon "abendfüllend", also als Programm für eine politische Gruppierung ausreichend. Doch das stimmt nur in der Theorie, aber nicht im politisch-praktischen Sinn. Im Prinzip liegt hier die Wurzel all dessen, was dem LIF immer wieder vorgehalten wird: es sei eine Kopfgeburt, es fehle an der Basis, an einem spezifischen sozialen Milieu. Das Programm des Forums ist Liberalismus pur, am Reißbrett entworfen. Das ist intellektuell faszinierend; es wurde an dieser Stelle schon einmal gesagt: Heide Schmidt ist eine/r der wenigen Politiker/innen aus der ersten Reihe, die glaubwürdig vermitteln können, sie hätten so etwas wie eine Vorstellung von der Zukunft dieses Landes. Aber es bleibt dennoch seltsam blutleer. Politik ist, auch wenn sie beileibe nicht populistisch sein will, mehr.

Irgendwie erinnert die Lage des LIF an ein Dilemma der ÖVP - auch wenn die Dimensionen ganz andere sind, sowohl was die Größe der Parteien als auch was das Ausmaß der Krise betrifft: Kaum jemand bestreitet heute, daß die Entscheidung von Wolfgang Schüssel & Co., mittels vom Zaun gebrochener Wahlen einen Kurswechsel in Richtung Budgetsanierung einzuschlagen, richtig war. Die Entwicklung hat Schüssel in diesem Punkt recht gegeben, die VP-Forderungen wurden zur Politik der Regierung. Wie die Wahlen im Dezember 1995 ausgegangen sind, ist freilich auch bekannt. Die ÖVP hat daraus ihre sehr pragmatischen Schlüsse gezogen.

In viel grundsätzlicherer Weise geht es den Liberalen ähnlich. Die Entwicklungen der kommenden Jahre dürften ihnen weitgehend recht geben: Die Eigenverantwortung im Sozialbereich wird eine weit größere Rolle als heute spielen (müssen); der Kammerstaat wird im europäischen Kontext zunehmend an Bedeutung verlieren; das Freiheits-Bewußtsein wird zunehmen, rein formale Autoritäten werden noch weiter verblassen; die Trennung von Kirche und Staat wird nicht von der Tagesordnung verschwinden.

All dies wird kommen - aber es ist äußerst fraglich, ob das LIF das noch als Parlamentspartei erleben wird, oder ob nicht Heide Schmidt dann längst als hochbezahlte Vortragsreisende und Publizistin in Sachen Demokratie und politische Kultur unterwegs ist. Denn die Menschen spüren zumindest instinktiv, was auf sie zukommt - aber sie wollen es nicht unbedingt derart theoretisch verdichtet serviert bekommen; eher schon meinen sie, daß diese Entwicklungen der Begleitung, der Abfederung bedürfen. Außerdem: wenn es schon so kommt, wie es kommen muß, warum soll ich dann, so mögen sich viele fragen, eine Partei wählen, die den notwendigen Wandel zum Programm erklärt.

Vor allem aber: Es kann heute keinen Alleinvertretungsanspruch auf Liberalismus mehr geben, keine Art von liberalem Lehramt: Wir legen euch Liberalismus authentisch aus. Das nicht einzusehen, wäre gerade zutiefst illiberal; es aber zu akzeptieren, bedeutet in letzter Konsequenz, dem Liberalen Forum seine Existenzgrundlage abzusprechen. Denn was bleibt dann noch übrig, es sei denn man positionierte sich neu und in Abhebung zum ursprünglichen selbstgestellten Anspruch. Der Kreis zu Liessmann schließt sich.

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