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Wie frei wollen wir sein? — Leben nach eigenem Ermessen

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Machen Sie sich noch Gedanken über die Zukunft unserer Parteien? Hier der zweite Teil unserer Analyse (Teil I in furche 33, Seite 14 und 15).

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Machen Sie sich noch Gedanken über die Zukunft unserer Parteien? Hier der zweite Teil unserer Analyse (Teil I in furche 33, Seite 14 und 15).

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Seit Bruno Kreisky hat es keine Partei mehr geschafft, zwei Wählergrappen unter sich zu vereinigen: die Arbeiter und das städtische Bürgertum. Was die Arbeiter anlangt, die selbst heute bürgerlich geworden sind, so werden die Liberalen wohl dort nie richtig Fuß fassen. In die Schicht des städtischen Großbürgertums und Mittelstandes sind sie aber eingedrungen. Sie haben damit Wähler gewonnen, die vorher kaum freiheitlich gewählt haben und jetzt eine Alternative zur ÖVP vorfinden.

Die Liberalen werden aber immer eine Kleinpartei bleiben, wenn sie ihr Gedankengut aus dem 19. Jahrhundert schöpfen. Erstens schuf die industrielle Bevolution eine Goldgräberstimmung, zweitens der gesellschaftliche Umbruch neue Klassen. Heute gibt es die multikulturellen Interessenten an Politik, Geld und Laune, in ihrem Befriedigungssystem und ihrer Lebensgestaltung konsumistisch. Einer Gruppe unter ihnen ist es zu viel Aufwand, sich selbst zu orientieren, sie suchen nach Autorität. Die anderen, sicher Besserverdiener und Gebildetere, schätzen Freiraum und leben nach eigenem Ermessen. Sie sind die Klientel der Liberalen.

Es ist aber klar, daß es in diesem Klima wenig ideologisch geprägter Lebensart schwer ist, ein Parteiprogramm zu schreiben, vor allem eines, das ein ganzheitliches Welt- und Menschenbild bietet. Wollen das die

Liberalen, sollen sie es? Auf jeden Fall sind es etwa sechs oder sieben Prozent der Wähler, die es einer Partei anrechnen, für eine Homosexuellenehe einzutreten. Wollen die Liberalen wachsen, müssen sie sich wohl um mehr Konfliktpotential in Staat und Gesellschaft bemühen. Sei es die Finanzierbarkeit des Sozialstaates und damit eines sozialen Interessenausgleichs oder sei es etwa eine Ethisierung der Arbeitswelt. Wofür sie eine gute Hand haben könnten.

Sinn macht es, sich um Weltanschauung zu bemühen. Ob es Sinn macht, das Konkordat mit der Kirche ändern zu wollen, ist eine Frage eines tiefergehenden Weltbildes. Zweifellos befinden sich die Glaubensinteressen vieler mit der kirchlichen Praxis in Widerspruch, und die Kirche versucht, einen Einfluß zu erhalten, den sie durch ihren Dienst am Menschen nicht immer rechtfertigt. Auf der anderen Seite will Heide Schmidt anstelle von Religionsunterricht einen Ethikunterricht einführen. Wenn sie darunter versteht, was in der Philosophie unter Ethik verstanden wurde, dann ist das zu wenig. Denn die Frage nach dem Sein, nach dem „woher kommen wir” und „wohin gehen wir” beantwortet eine Ethik nicht. Sie werden aber von einer Religion, im Glauben, beantwortet. Zweifellos wäre der Ansatz interessant, in einem „Weltanschauungsunterricht” religiösen Glauben, ebenso wie Esoterik oder ein materialistisches Weltbild zu erklären und zu hinterfragen.

Es stellt sich auch die Frage, ob ein gewisses Herrentum zwar einer bestimmten Klientel gefällt, daß man sich das aber moralisch und materiell leisten muß. Und damit elitär bleibt. In diesem Sinn sind den Liberalen derzeit Grenzen gesetzt.

An der Spitze der Liberalen steht die „Powerfrau” Heide Schmidt. Sie steht für die weibliche emanzipatori-sche Kraft von heute. Abgesehen vom Auftreten Friedhelm Frischenschlagers glaubt man aber, einen Ein-Frau-Betrieb vor sich zu haben. Gerade eine Liberale Partei ist jedoch nur als konzentrierte Aktion der Vielfalt glaubwürdig, sonst bleibt sie eben elitär. Vielleicht ist heute gerade eine Frau aufgerufen, zu zeigen, daß Leistungskonzentration nicht in Einzelgängertum und die Manie, alles selber machen zu wollen, münden muß.

Ein liberales Element ist Leistung, aber liberal sollte auch heißen, Lust am Schönen, am Brauchbaren, am Freigeistigen als Element einer individuell gestalteten Sozietät zu fördern. Und: Ein Liberaler sollte Weltbürger sein.

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