Das Dilemma der Volkspartei als Chance

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Neuer Parteichef und Vizekanzler, neuer Finanzminister - die ÖVP spürt leichten Aufwind und verspricht auch ein neues Parteiprogramm. Steht sie an einem Scheideweg? Die Gelegenheit wäre jedenfalls günstig, sich darüber zu verständigen, wofür man eigentlich stehen will.

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Neuer Parteichef und Vizekanzler, neuer Finanzminister - die ÖVP spürt leichten Aufwind und verspricht auch ein neues Parteiprogramm. Steht sie an einem Scheideweg? Die Gelegenheit wäre jedenfalls günstig, sich darüber zu verständigen, wofür man eigentlich stehen will.

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Wegweiser stehen schon bereit. So warnte zum Beispiel der Politologe Anton Pelinka jüngst in der Hamburger Zeit die Volkspartei vor dem Begriff "christlichsozial", die Neuentdeckung christlicher Politik bedeute, "wider den Zeitgeist zu schwimmen".

Stimmt es, dass eine zeitgemäße Kombination von sozial motivierter Politik mit christlicher Ethik heute eine hoffnungslos antiquierte Variante wäre?

Die ÖVP hat übrigens schon bei ihrer Gründung im Jahre 1945 bewusst auf das "hohe C" im Parteinamen verzichtet, weil das Etikett "christlichsozial" durch den autoritären Ständestaat schandvoll diskreditiert worden war. Das bedeutete auch den notwendigen Abschied von einem überholten politischen Katholizismus. Den Verantwortlichen war damals zudem bewusst, dass eine Volkspartei, die eine solche sein will, auch für Wählerschichten glaubwürdig sein muss, die über ihre traditionelle Klientel hinausgehen. Deshalb zum Beispiel die Förderung des Wohnungseigentums.

"Christliches Menschenbild"

Die Formulierung "christliches Menschenbild" oder ein Bekenntnis zur Würde des Menschen auf der Basis des Christentums tauchen in früheren Parteiprogrammen allerdings immer wieder auf. Das sind vage Formeln, die aber doch mit inhaltlichen Werten wie Nächstenliebe, Gerechtigkeit oder Toleranz etwas aufgehellt werden können. Auch ein Bekenntnis zum Frieden gehört dazu, Achtung vor der Schöpfung und ein Freiheitsbegriff, der an Verantwortung gebunden ist.

Bei diesen Werten geht es freilich darum, ob und wie sie im politischen Alltag umgesetzt werden. Welche Position nimmt die Partei zum Beispiel in der Asylpolitik ein? Wie reagiert sie auf Entwicklungen in der Wirtschaft, wenn Mitarbeiter in manchen Betrieben zum Kostenfaktor auf zwei Beinen herabgewürdigt werden? Wie steht sie zu konkreten umweltpolitischen Maßnahmen? Wie kann Freiheit in Zeiten allgegenwärtiger digitaler Kontrolle verteidigt werden?

Es gibt vereinzelt noch immer Politiker, die überzeugt sind, dass zum Beispiel ein ausgeglichenes Budget eine Frage politischer Verantwortung ist, also auch mit Moral zu tun hat. Aber ein neues, beunruhigendes Phänomen ist in der heimischen Politik aufgetaucht: Zauberlehrlinge, die nach Börsenbroker-Manier in Ländern und Kommunen gewissenlos Steuergelder verzocken. Und erst vor kurzem diagnostizierte Christian Keuschnig, der Direktor des Instituts für Höhere Studien, in einem Presse-Interview wörtlich: "Der Staat delegiert das Sparen an die Haushalte."

Dieser Sparer muss jedoch erleben, dass seine Ersparnisse durch die von der Europäischen Zentralbank diktierten ständigen Zinssenkungen de facto von Jahr zu Jahr weniger werden. Derselbe Sparer liest dann in der Zeitung, dass der Klub der Millionäre weiter wächst (in Österreich im Vorjahr um 4600) und dass dieses Wachstum mit dem Beginn der Finanzkrise 2007 einsetzte. Das ist die Krise, deren Folgen unter anderem mit der systematischen Plünderung der Sparbücher bekämpft werden sollen. Der mit dem Wort "Plünderung" angeschlagene etwas schrille Ton ist deshalb angemessen, weil im Disput über eine etwaige "Millionärssteuer" immer wieder sofort "Enteignung" beschworen wird.

Orientierung am Gemeinwohl

Wenn es zum Beispiel seit Jahren so gut wie keine realen Lohnsteigerungen gibt, nicht zuletzt wegen einer exzessiven Steuerpolitik der Regierung - dann hat, vor diesem Gesamthintergrund, die Forderung nach mehr sozialer Gerechtigkeit nichts mit Neid zu tun, sondern mit der Sorge um den sozialen Frieden im Land.

Und wenn zum Zeitgeist heute auch ein "exzessiver Egoismus" (Francis Fukuyama) gehört, dann muss sich eine Partei, die sich programmatisch bisher zur Solidarität bekannt hat, fragen, wie sie der Pflege des Egoismus entgegenwirkt, um ihre Verantwortung für Staat und Gesellschaft, also das, was man früher Gemeinwohl nannte, wahrnehmen zu können. Solidarität ist übrigens eine der drei Säulen der Katholischen Soziallehre, der auch Kapitalismuskritik nicht fremd ist.

Die Soziale Marktwirtschaft nach 1945 war ein erfolgreiches Bündnis zwischen einem domestizierten Kapitalismus und christlicher Sozialethik. Diese Wirtschaftspolitik sorgte auch lange für einen einigermaßen funktionierenden sozialen Ausgleich und hat wenig zu tun mit dem Casino-Kapitalismus heutiger Prägung, der verantwortlich dafür ist, dass die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinander geht. Die Deregulierung der Finanzmärkte mit Hilfe demokratischer Politiker in den Achtziger- und Neunzigerjahren hat eine Situation geschaffen, die manchmal den Eindruck erweckt, globale Finanzmanager, die sich als "Masters of Universe" fühlen, stünden über der demokratischen Rechtsordnung.

Dazu kommt, dass laut der jüngsten Studie der Bertelsmann-Stiftung die Folgen der Schuldenund Konjunkturkrise in der EU vor allem die Jungen treffen. Das heißt, auch die Kluft zwischen Alt und Jung wird tiefer.

Fronten quer durch die Partei

Gesellschaftspolitik, die einen weiteren Horizont hat als die nächste Wahl, wäre in einer solchen Situation durchaus gefragt.

Aber natürlich sind auch politische Parteien Getriebene dieser Entwicklung. Da ist es notwendig, sich manchmal über die eigene Position klar zu werden.

Das Unbehagen vieler ÖVP-Sympathisanten, die mit steigendem Unwillen diese Partei noch wählen, rührt auch daher, dass sie meinen, die Volkspartei wisse eigentlich nicht mehr, was sie wolle. Sie scheint als gestaltende Kraft in Staat und Gesellschaft abgedankt zu haben und sich mit der Interessensvertretung von Wirtschaftstreibenden, Bauern und Beamtenschaft zu begnügen.

Die Volkspartei kämpft also mit einem Dilemma, und die Fronten verlaufen quer durch die Partei. Selbstbesinnung durch eine tabulose Diskussion könnte daher auch eine Chance sein, sich über den eigenen Standort klar zu werden: Wo steht die Partei heute eigentlich und wofür steht sie noch? Das ist auch für verunsicherte Wähler nicht uninteressant.

Der Autor war lange Jahre stv. Chefredakteur, von 1994 bis 1997 Chefredakteur der "Kleinen Zeitung" und zwischen 1986 und 1993 Kolumnist der FURCHE

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