Die Leere der C-Parteien

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Die Lehren für Österreichs Christdemokraten aus den deutschen Wahlen.

Seit der Deutschen Bundestagswahl ist schon einiges Wasser durch Rhein und Donau geflossen. Die weit unter ihren Erwartungen gebliebenen christdemokratischen Unionsparteien hatten Zeit, ihre Wunden, die ihnen die Wähler unerwartet zugefügt hatten, zu lecken und nüchtern Bilanz zu ziehen.

Bereits im Sommer war vom katholischen Politologen Markus Schubert in der taz die "geistige Leere der C-Parteien" angeprangert worden. cdu und csu hätten "das langweiligste fdp-Wahlprogramm aller Zeiten" vorgelegt, in dem Deutschland zum bloßen Rechenwerk und Politik zum Tabellenkalkulationsprogramm verkomme. Enttäuscht vermisste er Aussagen zum Menschen, zu dessen Lebensbedürfnissen und zu dessen Stellenwert im Rahmen der Globalisierung.

Dynamik plus Gerechtigkeit

In die gleiche Kerbe schlug Warnfried Dettling, cdu-Querdenker und Publizist, wenige Tage nach der Wahl: Wirtschaftskompetenz sei eine notwendige, aber keine hinreichende Voraussetzung für den Wahlerfolg einer Partei. Die cdu habe es verabsäumt, ihren wirtschaftlichen Diskurs überzeugend mit sozialen Überlegungen zu verbinden: "Nie wollte oder konnte sie verständlich machen, dass Reformen notwendig sind nicht nur um der wirtschaftlichen Dynamik, sondern auch um der sozialen Gerechtigkeit willen."

Übereinstimmendes Fazit beider Analytiker: Die Unionsparteien haben christdemokratische Kernthemen im sozialen und ökologischen Bereich zu Gunsten eines reinen Ökonomismus sträflich vernachlässigt. Vergeblich wartete man auf Aussagen, die dem Menschen mehr Gewicht verliehen hätten als das eines Produktionsfaktors im wirtschaftlichen Leben.

Die österreichische Schwesterpartei von cdu und csu definiert sich in ihrem gültigen Parteiprogramm als christdemokratische Partei, "weil wir unser Menschenbild, unser Verständnis von Verantwortung in der Gemeinschaft, unsere Werte und unsere Verpflichtung zur sozialen Gerechtigkeit aus dem Christentum herleiten". Auf den weiteren Seiten finden sich ebenso klare Aussagen zum Prinzip der Nachhaltigkeit, längere Passagen über soziale Gerechtigkeit, das konstruktive Miteinander der Generationen oder gelebte Integration, das Modell der ökosozialen Marktwirtschaft, aber auch das Bekenntnis zu globaler Solidarität. Aber wie hält es die övp in der Realität des politischen Alltags mit ihren programmatischen Aussagen?

* Die staatlichen Mittel für Entwicklungszusammenarbeit (mit 0,2 Prozent lag Österreich im Jahr 2003 an vorletzter Stelle aller damaligen eu-Staaten!) sind nach wie vor beschämend niedrig dotiert. Wo bleibt eine Erhöhung der Mittel zu Gunsten nachhaltiger Entwicklung der Ärmsten unseres "globalen Dorfs"?

Globalisierung der Solidarität

* Weit mehr als 90 Prozent aller Bewegungen auf den Devisenmärkten sind rein spekulativer Natur. Seit Jahren bemühen sich einige Staaten um die Einführung einer für ökologische und/oder soziale Zwecke gebundenen Devisenumsatzsteuer ("Tobin-Steuer"). Warum sind Stimmen aus der övp dazu kaum vernehmbar?

* Nicht nur religiös inspirierte Menschen beklagen Einseitigkeiten der (prinzipiell begrüßenswerten und unumkehrbaren) Globalisierung. Ein Wettbewerb hoch entwickelter Marktwirtschaften mit Ländern, die keine Sozialstandards kennen und ökologische Katastrophen in Kauf nehmen, kann auf Dauer nicht gut gehen. Kein Zurück in die Zeit der Schutzzölle, sondern die Ergänzung der wirtschaftlichen Globalisierung um die Prinzipien der Solidarität und Subsidiarität ist ein dringendes Gebot der Stunde. Wäre das nicht ein vorrangiges Thema für supranationale christdemokratische Parteienkooperation?

"Zwei Lungenflügel"

* Der Zusammenbruch des Kommunismus ermöglichte die Erweiterung der Europäischen Union um ihren "zweiten Lungenflügel". Es gibt noch genug brach liegende Potenziale für eine verstärkte Zusammenarbeit mit unseren ehemals kommunistischen Nachbarn, etwa durch Vertiefung der "regionalen Partnerschaften" sowie durch neue Kultur- und Bildungsnetzwerke.

* Ältere und behinderte Menschen werden leicht ausgegrenzt; Sterbehilfe und die Verweigerung medizinischer Leistungen ab einem gewissen Alter sind in einigen Ländern Realität. Gewährleisten wir wirklich überall ein (Über-)Leben in Würde, oder gibt es nicht doch versteckte oder diskret getarnte Selektionsmechanismen auch in Österreich?

* Wissenschaft und Technologie vermögen heute bereits in hohem Maß Einfluss auf das menschliche Leben, auch in seiner kleinsten Einheit (dem Gen) zu nehmen. Die Politik drückt sich aber um klar formulierte ethische Rahmenbedingungen durch die Politik, die selbstverständlich nicht den Charakter einer Knebelung der Forschung haben dürfen.

* Nichts ist der Integration dienlicher als die Familie, wie Studien belegen. Die in und für Österreich arbeitenden Väter, Mütter bzw. Ehepartner haben das moralische Recht auf ein Familienleben! Statt die Asylbedingungen erfindungsreich immer restriktiver zu gestalten und unvorstellbare Zustände im Flüchtlingslager Traiskirchen achselzuckend hinzunehmen, könnte das Innenministerium beispielsweise den Rückstau an unerledigten Anträgen auf Familienzusammenführung (Kernfamilie, bestehend aus Ehegatten und minderjährigen Kindern) beseitigen.

* Wer achtet auf die Wahrung der Menschenwürde, wenn aus (durchaus berechtigter) Angst um die Sicherheit immer mehr Videokameras installiert und immer mehr sensible Daten gespeichert werden? Wie "gläsern" sind die Menschen schon geworden? Die Europäische Kommission leitete - fast unbemerkt - im August ein Verfahren gegen Österreich ein, weil der Datenschutz nicht unabhängig genug erfolgt. Auch umfassender Datenschutz gehört zu den persönlichen Rechten!

Diese Liste erhebt selbstverständlich keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit, zeigt aber deutlich die auch bei Österreichs Christdemokraten feststellbare Kluft zwischen Theorie und Praxis. Hängt diese Vernachlässigung christlich inspirierter Themen nicht ursächlich mit dem Verlust der Vision zusammen, was christdemokratische Politik heute sein könnte?

Teilwahrheiten

Sozialismus und Liberalismus haben Teilwahrheiten absolut gesetzt: Wollte der Liberalismus die soziale Natur des Menschen ausklammern, missachtete der Sozialismus dessen individuelle Natur. Ein Menschenbild, das inhaltlich durch das Christentum (oder andere Religionen) inspiriert ist, bringt Breite statt Enge in den politischen Diskurs ein. Es ist Voraussetzung für das Denken in den Kategorien von Nachhaltigkeit (Bewahrung der Schöpfung), Immaterialität (etwa die Anerkennung von Arbeit, die nicht dem Erwerb dient, sondern Dienst an der Gemeinschaft ist) und Ganzheitlichkeit.

Säkularer Appell

Christdemokratische Politik steht weder im Gegensatz zu (Wert-) Konservativismus noch zu Liberalität (im Sinne von Toleranz und Aufgeschlossenheit) noch zu sozialer Gemeinwohlorientierung, sondern bedingt und vereint in sich alle drei Facetten. Sie ist - im Gegensatz etwa zum politischen Katholizismus der Zwischenkriegszeit - keine konfessionelle Politik, sondern ein säkularer, ethischer Appell religiöser Inspiration. Sie muss der Ort der Mäßigung und des Bewahrens zwischen den Polen eines ängstlich beharrenden Strukturkonservativismus (zu dem in Österreich in vielerlei Hinsicht auch die Interessensvertretungen zählen) und eines Menschen verachtenden, technokratischen Turbo-Kapitalismus sein.

Das "C" hat also keineswegs ausgedient - im Gegenteil: Es ist wichtiger denn je, den Menschen wieder in den Mittelpunkt der Politik zu stellen! Christlich wie anders religiös inspirierten Demokraten ist gemeinsam, dass sie dem Glauben an etwas "Pseudogöttliches" - zum Beispiel Kapital, Fun oder Technologie - Sinn- und Wertvermittlung, Nächstenliebe und Verantwortung gegenüberstellen wollen. Es gilt, den nur scheinbar nicht mehr modernen Begriff "Christdemokratie" wieder mit "Fleisch" zu füllen und glaub- wie beispielhaft in Taten umzusetzen!

Der Autor ist Wissenschafter in der Wiener Stadt- und Landesbibliothek und Mitbegründer der sozialliberalen "Initiative Christdemokratie" (icd) sowie Mitherausgeber des 2003 erschienenen Buches "Stromaufwärts. Christdemokratie in der Postmoderne des 21. Jahrhunderts" (Böhlau).

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