Die zerstreute Christdemokratie

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Allein die nationalkonservative Gruppe zu befrieden, ist zu wenig. Auch der sozialliberale Flügel der österreichischen Christdemokratie will geliebt werden. Nur so kann man die Bewegung in ihrer ganzen Pluralität erfassen. Die ÖVP darf nicht zu deren Splitterpartei werden.

Er sei Christdemokrat. Entschieden beantwortete Innenminister Ernst Strasser in einem Interview im Sommer dieses Jahres die Frage nach seiner politischen Einordnung. Damit folgte der, so Jörg Haider, "schwarze Herz-Jesu-Sozialist" seinen Kollegen. Von Benita Ferrero-Waldner über Martin Bartenstein bis, nicht zuletzt, Wolfgang Schüssel werden die "Granden" der ÖVP nicht müde, im neuen Wording ihrer Partei immer wieder die gleichen Signale auszusenden. Wer soll damit erreicht werden?

"Die ÖVP ist die christdemokratische Partei." Dass sich die aktuelle Kommunikation der ÖVP-Spitze einzig und allein nach der Theorie des gültigen ÖVP-Programms richtet, wird niemand glauben. Tatsächlich wendet sie sich an die Praxis: Mit dem neuen Wording sollen wertorientierte Wählerschichten angesprochen werden. Nach den Quellen der aktuellen Meinungsforschung gibt es in diesem Meer gerade für die ÖVP viel zu fischen.

Dabei geht es absolut nicht um eine Umkehr in die Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg, als es noch (nicht nur in Österreich) konfessionelle Parteien mit klerikaler Politik gab. Eher steht hier die Erfolgsgeschichte zweier europäischer Schwesterparteien der ÖVP Pate: jene der CDU (zumindest bis 1995) einer- und des spanischen Partido Popular andererseits. Die eine hat de facto und der andere de jure die Führung in der Christdemokratischen Internationale inne. Beide leben vor, was es heißen kann, nicht nur die nationalkonservative Gruppe zur "Rechten", sondern auch den sozialliberalen Flügel zur "Linken" in den eigenen Reihen zu integrieren. Damit wurden sie zur wesentlichen Partei der politischen Mitte ihres Landes.

In Österreich ist das noch nicht beziehungsweise nicht mehr der Fall. Wenn man sie fragt, geben wichtige Elemente des schillernden sozialliberalen Flügels der österreichischen Christdemokratie - wie die Caritas oder Diakonie, sowie die Gruppen der Katholischen Aktion et cetera - etwas trocken zur Antwort, in der ÖVP zur Zeit keine politische Heimat zu finden. Die Koalition mit der FPÖ als Ursache anzuführen, ist dabei nur ein Vorwand. Viel gewichtiger ist, dass diese - so die Demoskopie - wählerträchtigen Organisationen in der ÖVP keinen hochrangigen Ansprechpartner haben, der sich um sie nicht nur operativ-kurzfristig von Tag zu Tag, sondern auch strategisch-langfristig über Jahre hinaus kümmert.

Gäbe es eine mit solchen Kompetenzen ausgestattete leitende Funktion, würden sich die genannten Gruppen von der ÖVP nicht nur ernster genommen fühlen. Es wäre auch leichter, zwischen ihnen und der ÖVP bislang strittige Themen mit Symbolwirkung - wie den erleichterten Familiennachzug von Ausländern - besser in den Griff zu bekommen. Solange dies (auch in anderen einschlägigen Bereichen) nicht geschieht, wird, wie die Meinungsforschung vor allem im städtischen Raum beweist, ein großer Teil der humanistisch geprägten Jugend aus bürgerlichen Familien weiter die Grünen wählen. Das Schicksal der Wiener ÖVP spricht hier Bände.

Die österreichische Christdemokratie hat aber noch eine ganz andere zentrale Aufgabe: Ausgehend von der Fundierung ihrer politischen Werte ist der Dialog mit jenen Einwanderern - vor allem muslimischer und orthodoxer Kultur - zu forcieren, die das Leben in den österreichischen und europäischen Städten immer mehr - und zwar zu deren Vorteil - prägen. Manche engstirnige "Schwarze" erkennen immer noch nicht, wie viel Gemeinsames es zwischen den Werthaltungen der ÖVP und den der Migranten gibt. Das Familienbild (allerdings mit einem gehörigen Schuss an Mehr-Emanzipation der Frau) wäre ein Beispiel. Das Wertebewusstsein der orthodox oder muslimisch geprägten Einwanderer steht dem der ÖVP bei Weitem näher als jenem der anderen österreichischen Parteien.

Wollen die Nationalkonservativen in der ÖVP davon nichts wissen? Wenn dem so ist, versperren sie ihrer Partei längerfristig die Mehrheitsfähigkeit, und zwar nicht nur in den Kommunen, sondern auch auf Landes- und Bundesebene. So plural die Christdemokratie ist, so plural ist auch die Wählerschaft, die sie ansprechen soll!

Der moderne Begriff von Christdemokratie nicht als religiöser, sondern als ethischer Appell hat heute nichts mehr mit der konfessionellen, ja klerikalen Politik von damals zu tun. Im Gegenteil: Er soll und muss in der Tradition von Humanismus und Aufklärung stehen und für eine offene Welt optieren.

Wenn sie sich verengt, wird die Christdemokratie verlieren. Wenn sie hingegen alle Facetten ihres Mosaiks zur Geltung kommen lässt, wird sie nicht zu schlagen sein: weder in Österreich noch im erweiterten Europa.

Der Autor ist Mitbegründer der Initiative Christdemokratie in der ÖVP.

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