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Liberalismus in Altösterreich

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Der Liberalismus in Altösterreich. Geisteshaltung, Politik und Kultur. Wiener historische Studien, Band III. Von Karl F. d e r. Verlag Herold, Wien-München 1955. 278 Seiten, broschiert.

Preis 78 S

Vor rund 80 Jahren beherrschte der Liberalismus Politik, Wirtschaft und Geistesleben der österreichischen Monarchie. Der durch die Niederlagen von 1859 und 1866 verursachte Zusammenbruch des neoabsolutistischen Systems hatte zur Schaffung des konstitutionellen Staates — der jahrzehntelangen Forderung der Liberalen — geführt. Aber auch sie konnten die schwierigen außen- und innenpolitischen Probleme des Vielvölkerstaates in der Zeit des virulent werdenden Nationalismus, nicht befriedigend lösen, was die unheilvollen Folgen des Ausgleichs von 1867 bald bewiesen. Mit um so größerer Energie warf sich daher die Liberale Partei auf kulturelle bzw. konfessionelle Fragen. Der Kampf gegen das Konkordat von 1855 zeigte sie auf dem Höhepunkt der Macht. Mit seiner Aufhebung war zwar ein Grundanliegen des Liberalismus verwirklicht worden, aber auch ein für manche Kreise des Bürgertums zugkräftiger Programmpunkt weggefallen. Auf der anderen Seite aber begann sich gerade wegen der radikalen Anti-Konkordatspolitik die katholische Opposition sowohl in ihrer demokratischen wie in ihrer aristokratischen Form zu sammeln, und das im rücksichtslosen Konkurrenzkampf liberalen Unternehmertums und Kapitals entstandene Industrieproletariat schloß sich der sozialistischen Bewegung an. Mit der Erweiterung des Wahlrechtes wurde diesen neuen Kräften die aktive Teilnahme am politischen Leben ermöglicht. Den mobilisierten und organisierten Massen konnte die Partei der, Bürger und Intellektuellen, der „Offiziere ohne Mannschaft“, nach der Erfüllung ihrer zeitgebundenen Aufgaben nun nichts mehr bieten. Sie zerfiel, als Geisteshaltung hat der Liberalismus jedoch die Monarchie überdauert. Im Kampf gegen Hitler ist er in Oesterreich allerdings kaum in Erscheinung getreten.

Die Geschichte dieser spezifisch österreichischen Prägung einer an sich gesamteuropäischen Strömung wurde in den Arbeiten über den europäischen und deutschen Liberalismus bisher nicht berücksichtigt. Auch das jüngste Werk über den deutschen Liberalismus (Friedrich C. Seil, Die Tragödie des deutschen Liberalismus, Stuttgart 1953) behandelt den österreichischen Liberalismus nicht — mit Recht! Denn seine Entwicklung war eben schon von den Grundlagen her anders.

In der vorliegenden Studie besitzen wir nun die

erste eingehende Monographie über den österreichischen Liberalismus, zu der man Verfasser und Verlag nur aufrichtig gratulieren kann. Der durch seine hervorragenden Arbeiten über Oberösterreich vor und während der Reformation und die fundamentale Geschichte der Kirche im Zeitalter des konfessionellen Absolutismus bekannte Grazer Universitätsprofessor DDr. Karl E d e r hat damit an einem neuen, schwierigen Problem, dessen Behandlung ihm seinerzeit schon Professor S r b i k zugedacht hatte, seine Meisterschaft bewiesen. Das hohe Verantwortungsgefühl, mit dem er an dieses Werk herangegangen ist, zeigt schon seine Einleitung, in der er sich mit dem diffizilen Begriff des Liberalismus und dessen Wertung auseinandersetzt („Im Tatsächlichen muß es eine Uebereinstimmung geben, in der Bewertung ist eine solche unmöglich“. S. 14) und auf die Methodik der Erfassung und Darstellung geistiger Strömungen eingeht. Diese „grundsätzlichen Gesichtspunkte“ sollten von jedem, der sich mit Geistesgeschichte beschäftigt, gelesen und beherzigt werden. Auf Grund genauer Kenntnis der Quellenlage werden sodann von Eder die westeuropäische Aufklärung als allgemeiner Hintergrund und der Josephinismus als ihre österreichische Form und „nächste geistige Schicht, auf der der Liberalismus fußt“ (S. 41), klar profiliert. Der Verfasser vertritt dabei die Ansicht, daß die Abzweigung des liberalen Denkens aus den „Geleisen und Scharnieren des Josephinismus“ bereits mit dem Regierungsantritt Metternichs und nicht erst mit der Heiligen Allianz einsetzt (S. 72). Die Sünden des Metternichschen Systems wider den Geist der Freiheit und ihre Auswirkung auf die allgemeine Stimmungslage werden mit vorbildlicher Objektivität behandelt. Ganz ausgezeichnet ist auch die Darstellung des geistigen Lebens dieser Zeit. Wie sehr und oft untrennbar josephinisches und liberales Gedankengut gerade dessen hervorragendste Vertre-; ter beherrschte, stellt Eder am Beispiel Anastasius Grüns (Anton Auersperg) und vor allem Grillparzers, dessen Einstellung Generationen von Staatsdienern bestimmend beeinflußte (S. 94), deutlich heraus. Die Revolution 1848/49 und der neoabsolutistische Rückschlag bilden die nächsten Etappen der ideengeschichtlichen Entwicklung des Liberalismus, die immer das Hauptanliegen Eders bleibt, wenn er auch aufschlußreiche Ausblicke auf Politik und Kultur

gibt. Bei der Schilderung des parlamentarischen Wirkens des Liberalismus nach dessen siegreichen Durchbruch nimmt daher auch der Kampf gegen das Konkordat und für die interkonfessionellen Gesetze einen breiten Raum ein. Eder betont in diesem Zusammenhang auch die Notwendigkeit, die liberale und antiliberale Bewegung von der Lokalforschung aus zu untersuchen. Jeder, der sich etwas mit dieser Materie beschäftigt hat, kann diese Forderung nur unterstreichen. Einzelforschungen auf dem Gebiet des Pressewesens und der Literatur wären ebenfalls von wesentlicher Bedeutung. — Ein Ueberblick über das Kulturleben der liberalen Epoche und die Ideen des Spät- und Nachliberalismus beschließen das klar und eindringlich geschriebene Buch. Besonders hervorgehoben sei in diesem Zusammenhang die vornehme Würdigung der Leistungen der einzelnen Parteien wie z. B. der Sozialdemokratie (S. 242). Der reichhaltige Anmerkungsapparat wird als vorbildliche Erfassung der einschlägigen Literatur allen Historikern gute Dienste leisten. Ein Personen- und Ortsregister erleichtert die Benützung dieser Arbeit, die auf knapp 280 Seiten ein schwieriges und umfangreiches Thema so behandelt, daß man sie allen an der Geistesgeschichte Oesterreichs Interessierten als instruktive und ausgewogene Darstellung — als „Basic Work“ im besten Sinn des Wortes — nur wärmstens empfehlen kann.

Für die Beurteilung wohl jedes historischen, besonders aber eines geistesgeschichtlichen Werkes sind jedoch nicht nur Methodik und Arbeitsleistung maßgebend, sondern auch die geistige Einstellung des Verfassers zu seinem Thema. Man muß sagen, daß Eder auch in dieser Frage beispielhaft ist. Da er bei der Behandlung konfessioneller Probleme aus seiner katholischen Ueberzeugung kein Hehl macht, ist seine Grundtendenz und abschließende Wertung des österreichischen Liberalismus um so höher einzuschätzen. Sie sei daher als Zeugnis einer wahrhaft universalen Geschichtsbetrachtung im vollen Wort-

laut an das Ende dieser Besprechung gestellt: „Es ist eine Grundanschauung dieser Darstellung, daß sich unbeschadet aller weltanschaulichen und historischen Kritik am Liberalismus Altösterreichs und abgesehen von seinem positiven Leistungen und schädlichen Auswirkungen, die ihn geschichtlich belasten, ein berechtigter Kern findet, das Element der Freiheit und Würde des Menschen. Gereinigt von allem zeitgeschichtlich bedingten Beiwerk und entschlackt von parteimäßiger Ausdeutung, ist es in der freien Welt Gemeinüberzeugung aller geworden.“

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