Neues Parlament
DISKURSDas Parlament in der Demokratie
Der ehemalige Parlamentsdirektor Wilhelm F. Czerny warnte vor einer Aushöhlung der Demokratie durch die Abwertung des Parlaments mit unterschiedlichen Methoden.
Der ehemalige Parlamentsdirektor Wilhelm F. Czerny warnte vor einer Aushöhlung der Demokratie durch die Abwertung des Parlaments mit unterschiedlichen Methoden.
Das Parlament verliert immer mehr seine Unabhängigkeit, denn die Führer der jeweiligen Regierungsparteien sind Herren nicht nur über die Legislative, sondern auch über die Exekutive, sodaß von der klassischen Gewaltenteilung nur die Unabhängigkeit der Justiz übrigbleibt. Mit solchen warnenden Feststellungen beleuchtete der langjährige Parlamentsdirektor Wilhelm F. Czerny, der am 4. September 70 geworden wäre, die österreichische politische Szene und ihre Entwicklung.
In der Entideologisierung der politischen Kräfte sah Czerny den Grund dafür, daß die Grundsätze, nach denen der Staat geführt werden soll, nicht mehr von der Volksvertretung durch die von ihr erlassenen Gesetze bestimmt werden, sondern umgekehrt die (an sich zur Vollziehung der Gesetze berufene) Regierung jederzeit in der Lage ist, die von ihr gewollten Maßnahmen durch parlamentarisch verabschiedete Gesetze sanktionieren zu lassen.
Das Computer-Zeitalter brachte noch eine bedrohliche Entwicklung: Neben den klassischen Staatsgewalten entsteht sozusagen eine vierte Gewalt, die ihre Macht auf einem wachsenden Wissensvorsprung aufbauen kann. Die meisten Parlamente scheinen von dieser Problematik noch wenig zu bemerken, heißt es bitter. Die Regierung eines Landes könnte sich die Verfügungsmacht über die großen Datenbanken sichern, wogegen Gesetzgebung und allenfalls auch Rechtsprechung den Nachrichtenstrom nur gefiltert bekommen würden. Demokratie und Parlament könnten dann zu einer leeren Hülle werden.
Ebenso gründlich wie dieser große Fragenkomplex wird ein Thema behandelt, das dem Verfasser, der Mitbegründer der katholischen Sozial akademie war, besonders am Herzen lag: das der politischen Theologie. Fußend auf der katholischen Soziallehre und dem Wirken der Kirche in der Gesellschaft dachte Czerny dabei an die Überwindung des Dualismus von Kirche und Welt, wobei er die Gefahr einer politisierenden Theologie nicht übersah.
Mehrere weitere Fragen zur Rolle des Parlaments in unserer Demokratie sind hier behandelt, so die neuen sozialen Bewegungen (Bürgerinitiativen, Grüne, Frauenbewegung et cetera), die Rolle der neben den Parteien wirkenden Verbände, Mehrheitsprinzip und Minderheitenrechte. Daß die Herausgeber kein Stichwortverzeichnis anlegten, ist der einzige gewichtige Mangel des Buches.
PARLAMENT UND PARTEIEN
Von Wilhelm F. Czerny.
Hrsg, von Edith Riether und Günther Schefbeck.
Böhlau Verlag, Wien/Köln 1994.
313 Seiten, öS 336,-.
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