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Sinnliche Kraft

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„Hemmungen können nur insoweit Interesse beanspruchen, als Uberwindungen aus ihnen hervorgehen. An den Hemmungen liegt gar nichts; an den Uberwindungen alles. Wir sollen uns nicht erlösen, sondern überwinden", notiert am 17. August 1930 Reinhold Schneider. Der Satz reflektiert eigenes Leid und ist das ethische Programm eines Mannes, der die Konflikte der Zeit auf sich nahm, um uns zur schmerzvollen Klarsicht zu verhelfen.

Reinhold Schneiders Tagebuch aus den Jahren 1930-35, das nun, von Josef Rast redigiert, in einem stattlichen Band vorliegt, ist vor allem ein kulturhistorisch bedeutsames Dokument. Es spiegelt den Seelenzustand eines redlichen deutschen Intellektuellen in einer für Deutschland schicksalhaften Zeit und hilft, das Spannungsfeld damaligen Denkens zu überblicken.

Wer sich in Zukunft mit der deutschen Geistesgeschichte in der Zeit der Entstehung des Dritten Reiches befassen will, wird Reinhold Schneiders Tagebuch zu Rate ziehen müssen.

Er hält nämlich die Aufzeichnungen eines Dreißigjährigen in der Hand, der — völlig uneitel, ja demütig — nicht für eine imaginäre Nachwelt schreibt, sondern bemüht ist, mit sich selbst unter dem selbstgewählten Formulierungszwang des Schreibvorganges ins reine zu kommen.

Wie für manche — wenige — bedeutende Autoren des Jahrhunderts ist auch für Reinhold Schneider das katholische Christentum alles andere als ein Objekt schwärmerischer Frömmelei; er sieht im Katholizismus eine Kraft, in dem sich die explosive Strahlung des Geistes dem Schöpfungsprinzip unterordnet. Metaphysik steht als logisches Ergebnis am Ende aller Meditationen; nur der Glaube vermag, Maße zu setzen, nur der gläubige Mensch handelt im wahrsten Sinne dieses Wortes realistisch.

Reinhold Schneider ist allerdings weder Philosoph noch

Theologe. Seine Darstellungen haben sinnliche Kraft. Deshalb ist sein Ringen um Wahrheit nachvollziehbar und überzeugend.

TAGEBUCH 1930-1935. Von Reinhold Schneider. Insel Verlag, Frankfurt am Main, 1983. 552 Seiten. Ln., öS 374,50.

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