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Beschwörung in dieser Stunde

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Das neueste Werk Reinhold Schneiders ist soeben Im Inselverlag erschienen. Ein historisches Drama, es spielt im mittelalterlichen Europa des anhebenden 14. Jahrhunderts, in Italien, Frankreich, Deutschland. Schneider liebt die Geschichtei er erkennt in ihr die Wirklichkeit des Kreuzes. In unvergeßlichen Visionen hat er in seinem Philipp II. die Welt des Escorial heraufgerufen, in .Las Casas vor Karl V. die Tragödie der spanischen Eroberung Amerikas aufgezeigt, in seinem Hohenzollernbuch, dann in .Macht und Gnade“ die Jahrhunderte mit dem Flügelschritt des Dichters durchwandert.

In dieser neuen, 1 9 5 0 in Dramenform erschienenen Dichtung geht es um anderes: um brennende, bittere Gegenwart. Wohl klingen deren Fragen, schmerzliche Fragen an das christliche Gewissen, durch in all seinen früheren Geschichtsdichtungen, nie aber so unmittelbar hämmernd, glühend, im Entscheidung fordernden Atem unseres Tages. Nur in den Sonetten der Jahre 1936/43 (in Auswahl ebenfalls im Inselverlag erschienen: .Die neuen Türme“) weht dieser selbe beschwörende Hauch. In Prosa übersetzt, rufen diese Sonette: Werdet wach ihr Christen, eh es zu spät ist. Was schlafet ihr in Kleinmut und Lüge und laßt die Welt In Selbstver-götzung und Krieg verenden. Wehe, wir gleichen dem Salz, das schal geworden ist...

Schneider ist, wenn wir vom frühverstorbenen Haecker absehen, der einzige männliche katholische Dichter und einer der wenigen Denker Deutschlands, der den letzten Fragen unserer Zeit gerade ins Gesicht zu sehen wagt. Als solcher trug er bereits die Stimme des christlichen Widerstandes gegen den Moloch des vergangenen Gewaltregimes. Seine Sonette begleiteten uns, abertausend Soldaten und Zivilisten, in das Feld unserer Entscheidungen, in den Bombenkeller, in die Winternacht des Krieges. Während schöngeistige Reden und ästhetische Ausflüchte — oder ein großes inneres Schweigen — hervorragende Gelehrte und Literaten im christlichen Raum band, sprach er allein: nannte das Unrecht beim Namen und sang von Gnade und Versöhnung, vom wahren Reich und vom wahren Frieden.

Dieser sein Mut, seine Klarsicht in jüngster Vergangenheit bedingen seine Stimme in der Gegenwart. Bestürzt, gemeinsam mit den besten Geistern der Nation, hat er in den Jahren nach 1945 erfahren, daß die erhoffte neue Substanzbildung, Vertiefung und innere Sammlung in der deutschen Christenheit nicht eingetreten ist. Oft eng im Herzen, dumpf im Sinn, taumeln die Massen durch den trüben Tag. Vielfach ist d;e Herde ohne Führung ...

Durch das Rauschen des christlichen Blätterwaldes horcht der Suchende vergeblich auf die Stimme letzter christlicher Besinnung, Klarheit, Entscheidung. Mit Schlagworten von ehe-gestern wird Kulturpolitik gemacht, mit billigem, flächigem Räsonnement wird über Aufrüstung, Krieg und Frieden gesprochen.

DergroBe Verzicht: der Verzicht auf Rache und Vergeltung, der Verzicht auf bornierte Postenjägerei, auf derb-dreiste Kleinkriege in eigener Sache, der Verzicht auf die Teilnahme an den üblen Spielen der „andern“, der Gegner — dieser Verzicht wurde nicht einmal in seiner inneren Dimension und Bedeutung für das Leben des Volkes und der Christenheit erkannt, geschweige denn in der Präsenz des Tages gesetzt.

So schrieb Schneider sein Geschichtsdrama „Der große Verzicht“. In einem vom Krieg zerrissenen Europa wählen die Kardinäle, die sich gegenseitig bis in den Tod hinein hassen und mit allen Waffen der Zeit befehden, weil sie sich nicht auf einen der Ihrigen einigen können, den Einsiedler Petrus von Murrhone zum Papst. Petrus Cölestin V., vom Volk, von den Frommen als Engelspapst ersehnt, soll der Welt den Frieden bringen. Durch die Kraft der Entsagung, des Opfers, der Liebe. Nach einer kurzen Regierungszeit dankte er ab, völlig unfähig“ für die Geschäfte der Welt, wird von seinem Nachfolger Bonifaz VIII., dem Herrn der Macht, der List und des Blutes, eingekerkert. Der Engelspapst stirbt im Kerker.

Der Krieg geht weiter. Die Kirche versinkt In gräßlichen inneren Zwisten.

Was soll dieses historische Gleichnis heute?

Reinhold Schneider sagt es uns durch den Mund des Engelspapstes, der bei ihm nach seinem politischen Scheitern, das seinen Glauben nicht erschüttern kann, die Worte spricht: .Das aber weiß ich mit Bestimmtheit: eine andere Zeit muß und wird beginnen) ich weiß nicht, ob es heute oder morgen geschehen wird. Aber einmal wird es doch geschehen, daß der Amtswalter des Apostels lieber stirbt, als daß er Mordwaffen segnet, und daß er sich lieber wird vertreiben lassen, als daß er flucht. Das Unerhörte muß und wird kommen. Der muß und wird den Thron Petri besteigen, der die Wahrheit unseres Erlösers lebt; der diese Wahrheit selber ist, soweit ein Mensch das sein kann.“

Der deutsche Dichter wagt es also, der Kirche das vorzustellen, was kurz vor dem letzten Krieg ihr bereits ein amerikanischer Priesterdichter (E. Lavery)' vorgestellt hat: das Gebot des Lammes, die Verpflichtung auf totale Friedensgesinnung.

In diesem Sinne hat Reinhold Schneider vor kurzem in einem offenen Brief an den „Christlichen Sonntag“ (Freiburg) diesem hochangesehenen katholischen deutschen Wochblatt seine weitere Mitarbeit aufgesagt, da er dessen Einstellung zum Krieg nicht billigen kann.

Spätere werden einst über diese Zeit ihr Urteil sprechen. Dann werden sie in Europa einige Menschen zu nennen haben, die sich nicht verwirren ließen: durch Furcht und Haß, durch Enge des Blicks, des Herzens, durch Feindschaft und bösen Willen. Bei diesen Zeugin wird auch ein deutscher Dichter zu nennen sein.

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