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REINHOLD SCHNEIDER / BOTSCHAFTER DES DEUTSCHEN GEWISSENS

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Als ReinUold Schneidet 1956 in Gegenwart von Bundespräsident Heuss den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels in der Frankfurter Paulskirche erhielt, nannte man ihn „Das Gewissen

Deutschlands“.

Der 1903 gekorene deutsche Dichter, Essayist und Publizist, Träger des Pour le Mirite (Friedensklasse) hat seinem Volk und der europäischen Christenheit in einzigartiger Weise angezeigt, was es heißt, geistigen Mut zu haben und rein zu denken.

Schneiders Definition des christlichen Dichters darf auf ihn selbst bezogen werden: „Der christliche Dichter ist einfach Zeuge, nicht aus Absicht, sondern aus seiner Existenz. Fr ist, wenn er in die Geschichte hinabsteigt, wie er nicht anders kann, der Unerträgliche, der den Protest ]esu Christi in die Zeit zu werfen sucht, der Unruhestifter, der Ankläger, der Wurm im Gewissen.“

So Reinhold Schneider im Kölner Gespräch mit Gottfried Benn. — Schneider hat, wie kaum ein anderer im christlichen Raum Zentraleuropas, das ritterliche Gespräch mit dem Gegner, dem „Feind“ gesucht und er hat es gefunden — da er es zunächst immer lange, schweigend, duldend, hinhorchend tn der eigenen Brust austrägt. Solange, bis es abgeklärt ist zur Reinheit des Wortes und des Gedankens.

Seine Ueberzeugung ist: „Wir leben nicht im Frieden, sondern in einem Waffenstillstand. Wir sind in eine Phase der Welt- und Menschheitsgeschichte eingetreten, in der der Friede nur noch im Sinne Kants als Vernichtung jeder möglichen Kriegsursachen verstanden werden kann. Die Gnade dieser Stunde ist, daß eine Bedrohung ohne Beispiel die Welt als ein Ganzes erweist und die Räume, in denen sich Kriege und die ihnen vorausgehenden Experimente abspielen, nicht mehr abgegrenzt werden können. Friede kann nur noch Friede der Welt und ewiger Friede sein.“

Man hat, gerade in • einem engen und ver-ängsteten christlichen Raum, zeitweise Reinhold Schneider heftig verfolgt und als einen „Utopisten“ abgetan. Eben dieser „Utopist“, der sich

zur „Utopie“ der Bergpredigt bekennt, war weit, landauf, landab, im ganzen deutschsprachigen Raum in den schweren Jahren des letzten Krieges und seiner Vorbereitung der einzige, dessen Sonette, oft handschriftlich verbreitet, hunderttausende deutsche Soldaten, Protestanten, Katholiken und Nichtchristen, die aber noch ansprech-

bar in ihrem Gewissen waren, getroffen haben; er hat sie erweckt, wachgerufen und getröstet. Von Narvik bis Tobruk, von Stalingrad bis zum Atlantikwall waren für Unzählige Reinhold Schneiders Sonette und visionär erhellte Dichtungen ein unvergeßlicher, unersetzlicher Trost. Ein Zeugnis, daß der Geist und das Gewissen in Deutschland nicht erloschen waren.

Die Bibliographie, 1953 zu seinem fünfzigsten

Geburtstag erschienen, als Anhang zu der Deutung seines dichterischen Werkes durch Hans Urs von Balthasar, den bekannten Theologen („Reinhold Schneider, sein Weg und sein Werk“, Jakob Hegner, Köln) zählt bereits einhundertundzwanzig Schriften des Dichters und Publizisten. Es ist seither beträchtlich mehr geworden.

Schneiders ungeheure Produktivität, in manchen Zügen der Fülle spätantiker und mittelalterlicher Theologen vergleichbar, enstammt der inneren Erregung eines Mannes, der sich als Rufer in der Wüste weiß. Dieser Rufer lebt aber, obwohl schwere körperliche und seelische Leiden ihn seit langem bedrängen, nicht in einer weltabgeschiedenen Klause, so schön auch sein Heim in der Mercystraße in Freiburg ist. Immer wieder zieht es ihn hinaus, als Wanderer zwischen Gestern und Morgen, die trübe und verdeckte Gegenwart durchleuchtend mit den blauen Röntgenaugen seiner Spiritualität, und so durchstreift er Europa, vom skandinavischen Nordland bis zu den südlichsten Gestaden seines geliebten Portugals und Spanien. Und hat nun, zum ersten Male in seinem Leben, für einige Zeit sein Zelt in Wien aufgeschlagen.

Die Wiener und Oesterreicher werden sich wundern, wenn sein Buch über Wien erscheint. Hier werden Tiefen angerührt, Gründe, Melodien, und auch Abgründe, die hierzulande gern vergessen und verdrängt werden.- Reinhold Schneider liebt Oesterreich, gerade weil er um seine Schwächen, seine Brüchigkeiten weiß. Es ist nicht sicher, ob unser Land und Volk viele so ehrliche, aufrichtige und aufgeklärte Freunde in anderen Zonen besitzt. Unser Land könnte nur gewinnen, wenn es dem Gast für längere Zeit eine Heimstatt bereiten würde. — Unsere Zeitschrift hat seit ihrem Bestehen auf ihre Weise versucht, Reinhold Schneider zumindest im Raum ihres Wirkens eine kleine Heimat in Oesterreich zu schaffen: unserem Gast aus dem Deutschland des Inneren Reiches, das alle ehren und lieben, die Geist und Gewissen zu schätzen vermögen.

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