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Ist Frieden noch möglich?

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In Freiburg im Breisgau veranstaltete die Reinhold-Schneider-Gesell- schaft ihre vierte Arbeitstagung. Man hatte sich in der Katholischen Akademie der Stadt getroffen, um mit Gästen aus Deutschland, Österreich, der Schweiz und Frankreich, ja selbst aus Übersee über die Ethik des Friedens bei Reinhold Schneider zu reden.

Nach dem Kriege war Reinhold Schneider einer der meistgelesenen Autoren deutscher Sprache. Nach seinem Tode jedoch begann der schnelle Verfall seines Ansehens. „Das Werk eines Autors“, so meinte Dr. Blattmann, „ist verwundbar wie ein Leib. Es kann sterben, sei es aus eigener Kraftlosigkeit oder am Schwachsinn der Leser. Vor einigen Jahren schien Reinhold Schneider im allgemeinen Bewußtsein an eigener Kraftlosigkeit gestorben zu sein; in Wirklichkeit drohte ihm die Lethargie seiner Nicht-Leser, wie wir heute sagen können. Nicht als ob zu behaupten wäre, Reinhold Schneiders Denken, Schreiben und Handeln sei immer schon auf der geforderten Höhe gewesen. Aber schon sein anfänglich schwankendes Suchen war in der Ehrlichkeit seiner Wahrheitsbegierde exemplarisch für seinen Weg.“

„Ist das christlich Gebotene und human Notwendige auch das politisch Mögliche?“, das war das Thema, mit dem die Reinhold-Schneider-Gesell- schaft versuchte, Studenten und junge Wissenschaftler für das Werk Reinhold Schneiders zu gewinnen. Die Verschiedenartigkeit der vorgetragenen Standpunkte — zuweilen beklemmend — bewies doch die lebendige Anziehungskraft Reinhold Schneiders.

Heimat, das ist nach einem Wort Ernst Blochs in der Welt etwas, das allen in die Kindheit scheint und vor der noch niemand war. Hinter dieser Definition steht die von Schneider immer wieder beschworene sehnsüchtige Erfahrung, daß wir auf der Erde, so wie wir sie lieben, nicht zu Hause sind. Karl-Wilhelm. Reddemann, der dies so formulierte, meinte auch, „daß wir uns nicht kraftlos an das Vorgegebene verlieren dürfen, sondern aus der tragischen oder christlichen Erfahrung existentieller Heimatlosigkeit uns bereit machen müssen für die Zukunft… Gerade heute bemächtigt sich des Menschen diese Erfahrung der wahrgenommenen Ziel- und Heillosigkeit, der Verkrümmung der Perspektive auf das, was ist…“ Es fehle die Aussicht, meinte Reddemann, von allen Aussichten aber seien „Gerechtigkeit und Frieden, Friede und Gerechtigkeit“ die beständigsten. Reinhold Schneider war eine solche Stimme, er war ein einzelner. „Er war es gewiß und gegen eine Zeit, die sich gerne in ihren Individualitäten sonnte und schon allein darin den Phänomenen einer industriellen Massengesellschaft in bildungsbürgerlicher Gelassenheit enthoben zu sein glaubte, ohne doch wirklich Entscheidendes zur Lösung von deren Problemen beitragen zu können.“

Konservative Revolution, Reichsmystik, religiöse Innerlichkeit, christlicher Sozialismus, politisches Tun, Durchbrechung des Denkzwanges bisheriger Geschichte, Leben und Denken als Einheit, die sich zum Frieden hin- dialogisch mitteilt, Wahrheit des Krieges als Voraussetzung des Friedens, Relativierung des eigenen Standpunktes als Methode der Annäherung und des Friedens: das sind die Gedanken, von denen diese Veranstaltung getragen wurde.

Auch Auschwitz klang an, als man die Aufgabe der Gesellschaft zu definieren suchte. Mit Reinhold Schneider unter dem Kreuz nach Auschwitz zu gehen und dort anzufangen, sich und die Welt zu prüfen, sich und die Welt umzudenken und von diesem Punkte aus zu handeln, wie weit immer es dem ohnmächtigen einzelnen verstattet ist: das sei ein Ziel, ein Wanderziel, das die Reinhold-Schnei- der-Gesellschaft ihren Mitgliedern und Freunden vor Augen stellen könne.

Mit der Verleihung des Pater-Ma- ximilian-Kolbe-Reinhold-Schneider- Gedenkpreises an 19 junge Wissenschaftler, darunter auch zwei Österreicher — Dr. Dietmar Dragerič, Graz, und Dr. Christopher Jenner, Salzburg — und einer höchst eindrucksvollen Lesung aus dem Werk Reinhold Schneiders durch Gert Westphal fand diese Tagung ihren würdigen Abschluß.

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