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Ein deutscher Poet in Wien
Kann ein TV-Film die subtilen Gedanken eines Dichters ins Bild umsetzen? Erich Kock hat diesen Versuch in teilweise dokumentarischer Form unternommen.
Kann ein TV-Film die subtilen Gedanken eines Dichters ins Bild umsetzen? Erich Kock hat diesen Versuch in teilweise dokumentarischer Form unternommen.
Gehört „Winter in Wien“ von Reinhold Schneider nicht zu den vergessenen Büchern? Oder ist es nicht vergessen, sondern vielmehr verdrängt worden, sowohl von den Kulturpolitikern als auch von den Lesern, weil sie sich messen müßten an einer großen Geschichte, der sie viel zuwenig entgegenzusetzen haben, trotz aller Beteuerungen, wie reich die Kultur in Österreich floriere?
Dafür wurde Reinhold Schneiders Buch unlängst verfümt. Erich Kock, deutscher Schrif tsteller, langjähriger Sekretär von Heinrich Boll und Verfasser von etwa hundert Drehbüchern, hat das Wagnis auf sich genommen, diesen sensiblen und sprachlich geschliffenen Reflexionstext in Bilder zu übertrage
Selbstverständlich: Nur eine Auswahl der Uberfülle an Gedanken hat in einem 45-Minuten-Film Platz. Reinhold Schneider beschäftigte sich mit dem labyrinthischen Wien. Immer wieder kreisten seine Gedanken um diese Stadt, immer wieder suchte er Beziehungsnetze zu knüpfen, die weit über die lokalen Gegebenheiten hinausgingen.
„Gott und die Welt“ heißt es im Wienerischen, wenn man alles meint, und tatsächlich Gott und die Welt sind Gegenstand der Reflexion, wenn es um Wien geht bei Reinhold Schneider — er sieht die geistigen Linien eines Kontinents sich kreuzen an diesem Ort, den er lange gemieden hat. „Immer habe ich mir abgeraten von Wien. Und doch ist es gut, daß ich herkam“, schrieb Schneider in seine Notizbücher.
Der Autor notierte Begegnungen mit Schriftstellern wie Max Meli, Alexander Lernet-Holenia, Franz Theodor Csokor, Felix Braun, beschrieb große kulturelle Institutionen wie das Naturhistorische, das Kunsthistorische und das Heeresgeschichtliche Museum; auch seine Notizen über die unregelmäßigen Besuche in der Kirche der Griechisch-Unierten Gemeinde St. Barbara und in der Dominikanerkirche finden ihren Niederschlag.
Mit wenigen Sätzen gelang es Reinhold Schneider, die Bedeutung der Monarchie für Wien festzustellen, obwohl er kein Anhänger der Monarchie war. „Und doch gehörte zur Substanz Wiens die Anwesenheit des Kaisers; und es würde viel für diese Substanz bedeuten, wenn der Repräsentant des Hauses hier lebte; sein Dasein würde die Stadt ergänzen, auch wenn er keine Krone trüge.“
Wie diese Fülle übertragen? Autor Erich Kock und Regisseur Jänos Meszäros haben sich zu einer halb dokumentarischen, halb interpretierenden Form entschlossen. Die vorgegebenen Texte werden selbstverständlich stark berücksichtigt. Der filmischen Darstellung kommt die Tatsache entgegen, daß fast alle bedeutenden Bauten und Plätze, viele Straßen geschildert, ja „beschworen“ werden. Wiener Cafes und Beiseln mit ihren Besuchern sind dargestellt. Die Jahreszeit wird angegeben. Die Reflexionen entzünden sich an einzelnen Objekten und führen in die Weite, um schließlich wieder nach Wien zurückzukehren.
Zwei stets wiederkehrende Bewegungsrichtungen geben der Kamera ihre Methode vor. Da gibt es die horizontale Bewegung; sie zielt auf die von Reinhold Schneider oft verwendeten Verben: verlassen, schwinden, entschwinden, scheiden, fliehen. Das andere ist eine durchgängige Bewegung von oben nach unten; man kann sie mit den (einem in den Tagebüchern häufiger begegnenden) Worten Nische, Höhle, Versteck, Keller, Grab, Gruft, Krypta umschreiben. Ein weiteres Bildmoment ergibt sich aus der Schilderung leerer oder sich leerender Räume, ein anderes läßt sich aus Sturz, Unfall, Gefälle ableiten. Die in den Tagebüchern häufig wiederkehrende Beschreibung von Kälte und Nässe evoziert Bilder wie Ruhe, Wärme, Schutz und Schoß. Selbstverständlich wird Schneiders Gefühl als Gast und Fremder, als Wanderer in einer fremden Stadt wiedergegeben.
Auf das Ergebnis, das der Grundstimmung von Schuberts Winterreise entsprechen soll, kann man gespannt warten. Erst eine Vielzahl von Persönlichkeiten und Institutionen machten diesen Film überhaupt möglich. Erich Kock verabsäumte es nicht, diese Stellen immer wieder lobend zu erwähnen, der Dank sei an dieser Stelle weitergegeben.
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