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Sklavenhandel blüht am Rande der Pilgerstraßen

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Die 140 Mekka-Pilger, die am christlichen Heiligen Abend an Bord eines sinkenden Schiffes vor der saudiarabischen Küste im Roten Meer ertranken, erwartet möglicherweise nicht das schlechteste Schicksal: dem Koran zufolge gelangen sie geradewegs und sündenrein ins Paradies. Die Tausende frommer muselmanischer Püger zu den heiligen Stätten des Islam in Mekka und Medina, die jährlich „spurlos verschwinden“, hadern hingegen mit einem viel schlimmeren Geschick: man verkaufte sie nämlich in die - trotz aller anerkennenswerten Gesetze des saudiarabischen Königreiches und des Beitrittes aller arabischen Staaten zur Anti-Sklaverei- Konvention der Vereinten Nationen - in die Sklaverei.

Im Tschad, dem muselmanischen Armenhaus Afrikas, warten Tausende von Ehefrauen alljährlich am Ende der Pilgersaison vergeblch auf die Rückkehr ihrer Ernährer. Auch heute noch blüht in der Sahara und der Sahelzone, vor allem in Tschad und Niger, der Sklavenhandel. Viele Pilger ahnen bei ihrer Abreise noch nichts von dem ihnen bevorstehenden Schicksal. In den beiden erwähnten afrikanischen Staaten verschwinden jährlich rund 50.000 Menschen. Man macht sie zu Sklaven. Ihr Endziel ist die arabische Halbinsel. Auch im Iran, um dessen Modernisierung sich Schah und Regierung in Teheran bemühen, gibt es noch Abnehmer für die skrupellosen Sklavenhändler.

Erpressung und Mord sind bei diesem düsteren Geschäft an der Tagesordnung. Die Behörden sind machtlos. Ägyptische Polizeibeamte, die sich in der saudiarabischen Hafenstadt Dschidda diskret um die Verbindungswege und Abnehmerkreise der Sklavenhändler kümmerten, wohlgemerkt: mit ausdrücklicher Zustimmung der Behörden in der Hauptstadt er-Riad, wurden Opfer von Mordan- schlägen. Andere offizielle (Polizisten) und priyate (Journalisten), Fahnder retteten sich nur unter größten Gefahren durch eilige Flucht vor den gnadenlosen Menschenhändlern. Ein Kairoer Polizist, ein stattlicher und noch jugendlicher Mann, erlebte das Sklavendasein sogar am eigenen Leib. Nach der Flucht zeigte er der Presse die Spuren von Mißhandlungen mit der Peitsche und das ihm in die Haut gebrannte Eigentumszeichen des Besitzers.

Ägyptischen Berichten zufolge gehen die Sklavenhändler mit äußerster Brutalität vor, wenn Gefahr droht und sie Entdeckung zu furchten haben. Die angeketteten Gefangenen wirft man dann paarweise über Bord. Kranke oder entkräftete Sklaven läßt man verhungern oder erschlägt sie.

Sklavenmärkte gibt es auch noch in Afghanistan. Dort blieb sogar verlassenen jugendlichen europäischen Rauschgiftsüchtigen, wenn ihre Mittel verbraucht waren und sie sich nicht umbringen wollten, manchmal nur der Weg in die freiwillige Sklaverei übrig.

Einer der Hauptumschlagplätze für den Sklavenhandel ist auch jetzt noch der sudanesische Rotmeerhafen es- Suakin. Von dort gehen jährlich min destens vier Sklaventransporte auf die arabische Halbinsel ab. An Nachschub fehlt es den Sklavenhändlern, unter ihnen einigen skrupellosen europäischen Abenteurern, niemals. Sudanesische Dorfälteste und sogar angesehene äthiopische Familien scheuen sich keineswegs, überzählige und lästige Familienangehörige in die’ Sklaverei zu verkaufen. Mekka, die Heilige Stadt des Islam, ist noch immer ein bedeutender Sklavenmarkt. Häuptlinge aus den afrikanischen Staaten bessern mit dem Verkauf ihrer Reisebegleiter gern ihre Pilgerkasse auf. Die Afrikaner, die sich auf eine Pilgerreise nach Mekka einlassen, bemerken meist zu spät erst, welches Spiel mit ihnen getrieben wird. Zutreiberdienste für die Sklavenhändler leisten vor allem die afrikanischen Kolonien in Dschidda und Mekka, die vielfach aus freigelassenen Sklaven bestehen.

Die Behörden in er-Riad begünstigen keineswegs diesen furchtbaren Handel. Sie arbeiten mit den Behörden anderer arabischer und afrikanischer Staaten, aber auch mit Interpol loyal zusammen. Kommen sie indessen den Sklavenhändlern auf die Spur, finden diese immer Mittel und Wege, um die „heiße“ Ware in ein anderes Land auf der arabischen Halbinsel abzuschieben. Gegen die eingewurzelte Mentalität der Beduinengesellschaft, die jahrtausendelang ohne Sklaveneinsatz überhaupt nicht hätte überleben können, gibt es anscheinend bislang kein Mittel.

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