6882625-1979_15_06.jpg
Digital In Arbeit

Verschwunden...

Werbung
Werbung
Werbung

Einen erschütternden Beitrag zum Jahr des Kindes leistet - sich - Argentinien; in einem soeben von Amnesty International in London veröffentlichten Dokument („Verschwundene Kinder in Argentinien“) , werden mehr als 50 Namen von Säuglingen, Kleinkindern und schwangeren Frauen genannt, die von Bewaffneten in Uniform oder Zivil festgenommen worden und seither verschwunden sind. Ferner werden zwei Dutzend Namen von Jugendlichen zwischen 14 und 18 Jahren angeführt, die ebenfalls seit ihrer Entführung unbekannten Aufenthaltes sind.

In einigen Fällen werden die näheren Umstände der Entführung dargestellt, in der Mehrzahl der Fälle sind nur wenige Daten bekannt:

Liliana Celia Fontana, 20 Jahre alt, im 5. Monat schwanger, entführt am 1. Juli 1977.

Alicia Estela Segara, nach Mitteilung von Nachbarn in ihrem Haus mit ihrem Gatten verhaftet am 23. Juni 1978. Alicia war im 8. Monat schwanger. Keine Nachricht mehr von den Erwachsenen und dem Baby.

Raquel Negro, im 6. Monat schwanger, samt ihrem 18 Monate alten Sohn Sebastian bei Mar del Plata am 2. Jänner 1978 entführt.

Und so fort. So geht es 11 Seiten lang in dem Dokument weiter. In den meisten Fällen verliert sich jede Spur nach der Festnahme.

In einem Fall heißt es allerdings lakonisch: Laura Estela Carotto, verschwunden am 16. November 1977. Ihr Baby wurde für Juni erwartet. Ihr Leichnam wurde von der Polizei ihrer Mutter am 25. August 1978 übergeben. Was aus dem Baby geworden ist, blieb unbekannt.

Die Ungewißheit über das Schicksal der entführten Mütter und Kinder quält deren Angehörige. Jeden Donnerstag riskieren Frauen eine stumme Demonstration vor dem Regierungsgebäude auf der Plaza del Mayo in Buenos Aires - in der Hoffnung, auf diese Weise vielleicht doch eine Auskunft über die Verschwundenen erzwingen zu können. Ein argentinischer Journalist hat mit solchen Frauen ein kurzes Tonband-Interview auf dem Platz aufgenommen, in dem es heißt:

„Warum kommen Sie hieher?“

„Das ist sehr einfach: Man trifft sich vor dem Ministerium, vor den Kasernen. Wenn man seine Kinder sucht, rennt man überall hin. Wir trösten uns gegenseitig, wir helfen uns, wir protestieren.“

„Wann fing diese Bewegung an?“

„Voriges Jahr im April, erst waren 14 Mütter da - wir wollten zum Innenminister, drei Mütter wurden zu ihm gelassen. Er erklärte, er wisse nichts. Wenn offizielle Stellen die Auskunft verweigern, wohin sollen wir uns wenden?“

1221 Verwandte von 1542 verschwundenen Personen richteten am 27. November 1978 eine Petition an den Obersten Gerichtshof, nachdem alle anderen Versuche fehlgeschlagen waren, Nachricht über deren Schicksal zu erhalten. Ohne Erfolg. Der Oberste Gerichtshof bedauerte, daß er von den Behörden fast keine Unterstützung bei der Nachforschung nach Vermißten erhalte.

Selten genug ein schwacher Lichtblick in diesem düsteren Bild im Jahr des Kindes - so teilte die argentinische Polizei der Zeitung „La Nacion“ vom 13. April 1978 zufolge die Namen von 232 Vermißten mit, die ausfindig gemacht worden sind. Eine weitere Polizeimitteilung vom 14. Dezember 1978 besagt, ohne weitere Einzelheiten anzuführen, daß 40 Kinder nach Hause oder in Heime entlassen worden seien. Nach noch unbestätigten Meldungen kommt es aber auch vor, daß Kinder unter neuem Namen zur Adoption zur Verfügung gestellt werden.

Die Liste mit den Namen der entführten Mütter und Kinder wurde vom Internationalen Sekretariat von Amnesty in London an alle nationalen Sektionen gesandt mit der Einladung, in den Monaten April und Mai eine weltweite Aufklärungsaktion zugunsten der verschwundenen Kinder Argentiniens zu organisieren.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung