Jacques Delors - © Foto: APA / AFP / Eric Piermont

Jacques Delors: Abschied von einem Baumeister Europas

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Ein Nachruf auf Jacques Delors (1925-2023), der mit dem Binnenmarkt und der Währungsunion die Sklerose der EU überwand.

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Ein Nachruf auf Jacques Delors (1925-2023), der mit dem Binnenmarkt und der Währungsunion die Sklerose der EU überwand.

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Der „Zeit im Bild 1“ war sein Tod kein Beitrag wert. Dabei war der am 27. Dezember des Vorjahres verstorbene französische Europapolitiker Jacques
Delors für die Entwicklung der EU wichtiger als der am selben Tag verstorbene Wolfgang Schäuble. Der 1925 geborene französische Sozialdemokrat übernahm 1985 die Leitung der Europäischen Kommission und wollte die damals herrschende „Eurosklerose“ mit der Schaffung eines Binnenmarktes überwinden. So sollte der freie Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital eingeführt werden, aber nur für Mitglieder der EG, wie die EU damals hieß. Österreichs SPÖ-ÖVP-Regierung unter Franz Vranitzky überlegte daher einen logischen Schritt: Österreich werde wegen der engen wirtschaftlichen Verflechtung einen Antrag auf Beitritt zur EG stellen, was im Juli 1989 auch passierte.

Zuvor entwarf Delors aber für Österreich, Schweden, Finnland, Norwegen und die Schweiz, die allesamt Beitrittsgesuche stellten, als alternativen Plan zur Vollmitgliedschaft den „Europäischen Wirtschaftsraum“ (EWR). Nachteil des Projekts: Man musste die EU-Regelungen umsetzen, ohne diese mitentscheiden zu können – ein Unding für demokratische Staaten.

Tief beeindruckt zeigte sich Delors von einem Besuch der Präsidenten der vier Sozialpartnerorganisationen aus Österreich im Februar 1990, die nachdrücklich die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen forderten. Der Kommissionspräsident sagte sie zu, aber frühestens 1993. Als Katholik und christlicher Gewerkschafter war Delors ein Anhänger der christlichen Soziallehre.

Bereits 1989 initiierte er die Charta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer. Zudem gilt er als einer der Väter des Euro, den er 1989 als Ziel für die Wirtschafts- und Währungsunion verankerte. Für DIE FURCHE schrieb er 2012 einen Kommentar, in dem er als Lehre aus der Finanzkrise mehr Kompetenzen für das Europäische Parlament forderte.

2019 schließlich warnte das von ihm gegründete „Jacques-Delors-Institut“ eindringlich vor EU-Gegnern, die die Flüchtlingswelle für sich nützen wollten. Just das droht freilich auch bei den Europawahlen im Juni 2024. Dabei benannte Jacques Delors schon 1995 nach seiner Amtszeit in Brüssel einen wichtigen Mangel des europäischen Projekts. Man müsse „Europa eine Seele geben“, mahnte er. Denn: „Niemand verliebt sich in einen Markt.“

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