Der „meistvergessene Komponist des 20. Jahrhunderts“

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In seiner Reihe „Musik des Aufbruchs“ widmet sich das Jüdische Museum Wien gemäßigt modernen Komponisten, die weitgehend aus dem Gedächtnis verschwunden sind. Nach Hanns Eisler und Erich Wolfgang Korngold ist mit Ernst Toch nun ein Komponist an der Reihe, den – einst viel gespielt – heute wirklich kaum noch jemand kennt.

Von den Nationalsozialisten als Schöpfer „Entarteter Musik“ verfemt und wegen ihrer jüdischen Herkunft vertrieben, von der der Avantgarde der Nachkriegszeit als „reaktionär“ und somit als irrelevant gebrandmarkt: Die Erinnerung an die gemäßigt modernen Komponisten des 20. Jahrhunderts wurde gleich zweimal gelöscht. In seiner Ausstellungsreihe „Musik des Aufbruchs“ widmet sich das Jüdische Museum Wien diesen mehr oder weniger Vergessenen. Nach Hanns Eisler und Erich Wolfgang Korngold ist mit Ernst Toch nun ein Komponist an der Reihe, den heute wirklich kaum noch jemand kennt. Dabei zählte der gebürtige Wiener zu den wichtigsten und meistgespielten Komponisten der 1920er Jahre, seine Stücke wurden unter Stardirigenten wie Wilhelm Furtwängler oder Otto Klemperer gespielt, kaum ein Musikfestival der Gegenwart fand ohne Aufführung eines seiner Werke statt.

Der 1887 geborene Toch war Autodidakt und folgte seiner Berufung gegen den Willen der Eltern. Als Zehnjähriger studierte er heimlich unter der Bettdecke Mozart-Partituren, und erst die Zeitungsmeldung vom Tod Johannes Brahms’ machte ihm bewusst, dass es den Beruf des Komponisten überhaupt gibt. Erst als er während eines Medizinstudiums einige namhafte Kompositionspreise gewann, wandte er sich endgültig der Musik zu. Toch wurde nach dem Ersten Weltkrieg gemeinsam mit Paul Hindemith Begründer der „Neuen Sachlichkeit“ in der Musik, das heißt einer Rückbesinnung auf Klassik und Nüchternheit, in Abgrenzung vom Überschwang der Romantik. „Sie sind ein Wahnsinniger!“, soll ihm Richard Strauss beschieden haben.

Dreimal für den Oscar nominiert

Mit der Machtübernahme der Nazis in Deutschland, wo er lebte und unterrichtete, begann 1933 sein Weg ins Exil, der ihn über Paris und London in die USA führte. Wie andere vertriebene Komponisten auch verdiente er seinen Lebensunterhalt mit Lehraufträgen an Universitäten und mit Filmmusik für die Studios in Hollywood. Rund 80 Filme hat er vertont, Toch galt als Spezialist für Verfolgungsszenen und Gruseleffekte und wurde dreimal für den Oscar nominiert. Erst nach Kriegsende und nach einem Herzinfarkt wandte er sich wieder der ernsten Musik zu und schrieb binnen 15 Jahren nicht weniger als sieben Symphonien. Zwei davon wurden sogar in Wien aufgeführt, doch letztlich konnte er wie so viele andere nicht mehr Fuß in seiner alten Heimat fassen. Rastlos pendelte Toch bis zu seinem Tod im Jahr 1964 zwischen alter und neuer Welt. Der Untertitel der Ausstellung „Das Leben als geografische Fuge“ verweist auf diese Odyssee. Er bezieht sich auf das in Fachkreisen bekannteste und vielleicht einflussreichste Werk Tochs, „Fuge aus der Geographie“, in dem er Neue Sachlichkeit mit Jazz-Elementen verband.

Ernst Toch – Das Leben als musikalische Fuge

Jüdisches Museum Wien, bis 31. Oktober

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