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250 Jahre nach der Schlacht von Kolin rüstet sich die mittelböhmische Stadt für eine rosige Zukunft.

Der Name Kolin weckt in Wien heute eher unangenehme Erinnerungen, denn Generationen von Autofahrern mussten zur Fahrprüfung ihre Kurven in der Kolingasse drehen. Und wer gerade mit der Verkehrsordnung gerungen hat, hat auch keine Muße für das nahe gelegene Deutschmeister-Denkmal, auf dessen Rückseite ein martialisches Schlachtenrelief von 1757 prangt.

Das Relief ist ein Relikt des Kolin-Kults, der in der Kaiserzeit systematisch betrieben wurde, hatte Maria Theresia den erstmaligen Sieg über Friedrich II. doch als "Geburtsstunde der Donaumonarchie" bezeichnet. Dass der Siebenjährige Krieg dennoch verloren wurde, musste dabei ausgeblendet werden. Jedes Schulkind hatte indessen zu lernen, dass die Monarchin den nach ihr benannten Ritterorden als erstem dem Sieger von Kolin, Leopold Graf Daun, verliehen hat.

Von seinem Grabmal in der Augustinerkirche abgesehen tritt einem der Feldmarschall in Wien auch als lebensgroße Statue entgegen: hoch zu Pferd am Maria-Theresien-Denkmal und stehend in der Eingangshalle des Heeresgeschichtlichen Museums. Dort erfordert die Suche nach Memorabilia freilich einigen Spürsinn, denn das Schlachtgedenken verbirgt sich in Gemälden und Stichen unter dem Namen Chotzemitz - einem der Orte des blutigen Geschehens.

Der Adler von Krechor

Am wenige Kilometer westlich von Kolin gelegenen Schlachtfeld wiederum muss man heute den Schildern nach Krechor (Krschetschhorsch) folgen, um zum österreichischen Ehrenmal zu gelangen. Angesichts dieses Zungenbrechers sei ein Exkurs über den Namen Kolin (und auch Czernin) gestattet: Die im Deutschen übliche Betonung auf der zweiten Silbe beruht eigentlich auf einem Irrtum, denn der Accent aigu in der tschechischen Schreibung (Kolín, Cernín) bedeutet eine Längung und nicht die Betonung. Die liegt immer auf der ersten Silbe.

Das 1898 aufgerichtete mächtige Denkmal wurde mit Rücksicht auf den gerade tobenden Nationalitätenkampf lateinisch und französisch beschriftet (einen Löwenanteil am Sieg der Österreicher hatten wallonische Kontingente). Und als 1918 die Tschechoslowakei gegründet wurde, montierte man den riesigen Doppeladler gleich wieder ab. 1937 freilich durfte er auf dem hohen Pylon wieder Platz nehmen - angesichts der Bedrohung durch Hitlerdeutschland demonstrierte man die Einheit von Böhmen und Mähren, deren Rettung in tschechischen Augen das wichtigste Resultat der Schlacht gewesen war. Das schmucklose Denkmal der Preußen grüßt vom Friedrichshügel, dem Bedrichov, jenseits der alten Reichsstraße herüber.

Ist es ein Zufall, dass genau zwischen den beiden Befehlsständen von 1757 der "stärkste Tscheche" geboren wurde, Gustav Frištenský, Europameister im griechisch-römischen Ringkampf, 1903 als Amateur und 1929 als Profi? Und dass der erste Generaltruppeninspektor der Tschechoslowakei in Kolin geboren wurde? Letzteres kam freilich überraschend, denn Josef Svatopluk Machar hatte den Großteil seines Lebens als Schriftsteller und Agitator in Wien verbracht, ehe er von Präsident Masaryk 1918 mit dem Aufbau der neuen Armee beauftragt wurde. In seiner Bibliothek, die im alten Schulhaus neben der Stadtpfarrkirche untergebracht ist, sieht man Machar auf einer Karikatur František Kupkas dem böhmischen Löwen eine Pfote verbinden.

Gelangt man mit Hilfe der Mesnerin in die wunderbare Bartholomäuskirche samt ihrem gotischen Kapellenkranz von Peter Parler, dem Meister des Prager Veitsdoms, so wird einem Machars Arbeitszimmer von den Mitarbeiterinnen des Regionalmuseums aufgesperrt, wo derzeit eine Sonderausstellung über die Schlacht von Kolin läuft. Eine weitere Sonderschau erinnert an die Blütezeit des "böhmischen Manchester" in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die sich etwa in einem bemerkenswerten Gymnasium sowie einer Gartenstadt spiegelt.

Im Museum erhält man auch den Schlüssel zum riesigen alten jüdischen Friedhof, beherbergte Kolin doch einst die zweitgrößte jüdische Gemeinde Böhmens. Den Toraschrein in der schön renovierten Synagoge hat Samuel Oppenheimer gespendet, der Wiener Hofbankier, der die Türkenkriege mitfinanziert hat und mit einer Koliner Jüdin verheiratet war. Auch das Deutschtum der meisten Juden ist nicht mehr tabu und eine Broschüre nennt diesbezüglich Josef Popper, genannt Lynkeus, der 1838 in Kolin geboren wurde und dem als frühem Anwalt des Grundeinkommens im Wiener Rathauspark eine Büste gesetzt wurde.

Mimen und Musiker

Noch viel weiter in die Ferne hat das Leben zwei andere hier Geborene geführt: Jean-Baptiste Gaspard Debureau und Rafael Kubelik. Der Vater Debureaus, ein Akrobat aus Amiens, hatte sich von der österreichischen Armee anwerben lassen und in Kolin eine böhmische Köchin geheiratet. Der Versuch, in der Stadt dauerhaft Fuß zu fassen, schlug freilich fehl, sodass die Familie nach Frankreich zog, wo der Sohn als Pierrot unsterblich wurde. Sacha Guitry verkörperte Debureau in einem Drama, Bohuslav Martinu komponierte über ihn eine Oper und Marcel Marceau sieht in ihm den Ahnherrn der modernen Pantomime. In seinem Geburtsort ist ihm das Festival Mimraj gewidmet.

Rafael Kubelik (auch ihm gebührt eigentlich ein langes I) wurde in Býchory am nördlichen Stadtrand Kolins geboren, am Tag nach dem Attentat von Sarajewo. Sein Vater, der damals weltberühmte Geiger Jan Kubelík, hatte das in etwas grobschlächtigem Tudorstil erbaute Schlösschen einige Jahre zuvor erworben, gab es aber noch im Weltkrieg wieder auf. Sohn Rafael verließ 1948 die Heimat und machte Karriere in den USA und in Deutschland. Nach der Samtenen Revolution von 1989 ergriff er noch einmal den Taktstock und dirigierte Smetanas Vaterland auf dem Altstädter Ring in Prag. Die Gedenktafel in Býchory erinnert freilich nur an seinen Vater.

Ganz anders verhält es sich mit František Kmoch, dem Vater der tschechischen Blasmusik, dem die Kommunisten in den Sechzigerjahren ein eigenes Festival gestiftet haben; eben erst ist es wieder mit dem traditionellen Monstrkoncert zu Ende gegangen. Kmoch machte zu dem, was Josef Svatopluk Machar mit Worten propagierte, die Musik; sein Denkmal auf der Kmoch-Insel zeigt ihn in der Uniform der Sokol-Bewegung, deren Koliner Musikkapelle er zu einem Sendboten tschechischen Selbstbewusstseins machte.

Kolin lernt Japanisch

Der beim Konzert vornehmlich von älteren Leuten und nur spärlich gefüllte große Karlsplatz machte freilich überdeutlich, dass der Kampf um die Zukunft derzeit nicht mit nationalen Parolen ausgefochten wird. In Kolin heißt das Zauberwort T.P.C.A. - Toyota Peugeot Citroen Automobile. In drei Jahren wurde in einem Joint Venture eine hypermoderne Fabrik hochgezogen und seit zwei Jahren produzieren 3500 Mitarbeiter täglich 1050 Kleinwagen, die fast zur Gänze exportiert werden.

Das Engagement des Giganten hat die vor fünf Jahren völlig verschlafene Stadt unübersehbar wachgeküsst. Der in Kolin nahe liegenden Assoziation mit dem Manchester-Kapitalismus wird tunlichst gegengesteuert: Da wird eine neue Elbbrücke mitfinanziert, ein Feuerwehrauto bezahlt und natürlich auch "Kmochuv Kolín" gesponsert. Vertrauen in die Mitarbeiter sei ein Markenkennzeichen der Firmenphilosophie, wird versichert und T.P.C.A.-Präsident Yasuhiro Takahashi sitzt zusammen mit einer Hundertschaft von Mitarbeitern freundlich lächelnd im Großraumbüro.

Er hat seine gesamte Karriere, wie in Japan üblich, im Konzern absolviert, exemplarisch gebrochen hingegen ist jene seines tschechischen Vizepräsidenten: Vadim Petrov hat zunächst ein Gitarrestudium abgeschlossen, wurde nach der Wende Pressesprecher von Václav Klaus und projektierte zuletzt eine Open Gate Boarding School. Jetzt kümmert er sich nicht zuletzt um die Kontakte mit der Koliner Bevölkerung. Eine Verkörperung seiner Bemühungen ist dabei wohl Frau Zdenka Katayama, eine Tschechin, die einen Japaner geheiratet hat und jetzt Koliner Kindern die japanische Sprache beibringt. Nur zu, würde wohl König Ottokar II. sagen, der Köln an der Elbe im 13. Jahrhundert mit Hilfe deutscher Siedler gegründet hat …

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