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Die „Ungarische Garde“ fordert ein Groß-Ungarn, wettert gegen Roma und andere Minderheiten – und ihre Hetze fällt auf fruchtbaren Boden.

István Demeter ist der Kapitän. Der schnauzbärtige Mann startet die Fahrt mit der „Katalin II.“ über einen Seitenarm der Körös in Ungarn. Das Ausflugsschiff ist gut besucht. Gleich nach dem Start beginnt Demeters ganz persönliche Show:

„Hier ist die Mitte Ungarns“, verkündet der Mann übers Mikrofon, obwohl das Städtchen Szarvas nur 70 Kilometer von der rumänischen Grenze entfernt liegt. Demeter bezieht sich auf eine andere Zeit: Die Zeit vor dem ersten Weltkrieg, als Siebenbürgen, die Vojvodina, Teile der Slowakei und der Ukraine noch zu Ungarn gehörten. „Wenn der liebe Gott will“, predigt Demeter, „werden wir Ungarn einst wieder vereint sein.“ Da wird klar: Die Schiffs-Tour wird zur Propaganda-Veranstaltung eines Rechtsextremen.

Das ist eine der Folgen der Gründung der „Ungarischen Garde“ vor einem Jahr (die Furche berichtete), eines Ablegers der rechtsextremen Splitterpartei Jobbik (Die Besseren/Rechteren). Auf dem Burgberg von Budapest wehten damals die rot-weiß-gestreiften Árpád-Fahnen. Mehrere hundert Menschen waren 2007 an diesen Ort gekommen: Die rechtsextremen „Goj-Motorradfahrer“ genauso wie Glatzköpfe, die ihre Nazi-Gesinnung mit „White-Power-T-Shirts“ zur Schau tragen. Aber auch Menschen aus der Mittelschicht und sogar der politischen Elite waren dabei.

Roma-Schüler separieren

Seit diesem rechtsextremen Hochamt marschiert die „Ungarische Garde“ durch Dörfer und Stadtviertel mit hohem Roma-Anteil, wettert gegen „Zigeunerkriminalität“ und setzt sich dafür ein, dass Roma-Kinder von den anderen in der Schule getrennt werden. Anführer der „Ungarischen Garde“ ist der 30-jährige Jobbik-Parteichef Gábor Vona. Jobbik ist vor allem im studentischen Milieu verankert. An der Wahlurne erreicht die Partei nie mehr als zwei Prozent. Aber in einigen Stadtparlamenten, wie in der zweitgrößten Stadt Debrecen, mischen sie in der Kommunalpolitik mit.

Die Ressentiments, die die Rechtsextremen verbreiten, treffen in der Mitte der Gesellschaft auf fruchtbaren Boden. Ihre Thesen werden zum Mainstream. Nach einer Umfrage der „International School Psychology Association“ würde sich jeder zweite ungarische Pennäler nicht neben einen Roma-Mitschüler setzen. Klischees wie „Roma sind faul und wollen nicht arbeiten“ werden nicht nur hinter vorgehaltener Hand geäußert.

Wie damals in Deutschland

„Ich verdiene die Stütze, von der ihr lebt“, heißt es in einem Nazi-Rock-Song, veröffentlicht im Online-Portal „YouTube“. Die bekannteste ungarische Rechtsrock-Band „Kárpátia“ füllt Stadien.

Auf zwölf Prozent beziffert der Soziologe Tamás Pál das rechtsextreme Wählerpotenzial: „Das sind Männer um die 30, die vor der Wende große Träume hatten, die sich nicht erfüllt haben.“ Inzwischen marschieren die Rechtsextremen nicht nur. Mittlerweile fliegen auch Molotow-Cocktails, werden Juden und Andersdenkende zusammengeschlagen.

Der für den Schutz der Minderheiten zuständige Ombudsmann Ernö Kállai vergleicht die Kampagnen gegen Roma und Juden, „das Suchen nach Sündenböcken und die breite gesellschaftliche Unterstützung dafür“ mit der Situation in Deutschland in den 1930er-Jahren, als die Braunhemden der SA durch deutsche Städte marschierten. Er wirft den ungarischen Politikern vor, „die Gefahr dieser Entwicklung und die Notwendigkeit, diese aufzuhalten“, nicht erkannt zu haben.

Die sozialistische Minderheitsregierung hat zwar ein Verbotsverfahren gegen die „Ungarische Garde“ auf den Weg gebracht. Eine Entscheidung steht aber aus. Der rechtskonservative Bürgerbund Fidesz und ihr populistischer Parteichef Viktor Orbán distanzieren sich – wenn überhaupt – nur halbherzig von den rechtsextremen Umtrieben. Das Wählerpotenzial ist verlockend groß. Fidesz-Abgeordnete wie Mária Wittner lassen kaum eine Veranstaltung der Rechtsextremen aus. Sie eint der Hass auf die Sozialisten, allen voran den Ministerpräsidenten Ferenc Gyurcsány.

Die Gründung der „Ungarischen Garde“ vor einem Jahr hat auch die Debatte um einen Volksverhetzungsparagrafen nach deutschem Muster gefördert. Das Parlament hat ihn bereits gebilligt. Aber Staatspräsident László Sólyom hielt den Gesetzesentwurf für verfassungswidrig. Das ungarische Verfassungsgericht kippte ihn. Das Gesetz gegen „Hassreden“ greife in nicht akzeptablem Maße in das Recht auf Meinungsfreiheit ein, so die Richter.

Ihrer Meinung nach dürfen nur natürliche Personen das Recht haben, ihre Würde durch das Gesetz schützen zu lassen, nicht aber größere Gemeinschaften oder Gruppen, wie es der Gesetzesentwurf vorsah. Ohnehin sei die Demokratie in Ungarn stark genug, extremistische Äußerungen abzufangen, verteidigte das Gericht seine Entscheidung. Der „Verkünder solcher Botschaften stellt sich mit seiner Meinung selbst an den Rand der Gesellschaft“, heißt es in der Urteilsbegründung.

Gegen zivilisiertes Europa

Das sehen Vertreter der Minderheiten anders: „Das Recht auf freie Meinungsäußerung wird hier mit dem Recht auf Würde auf eine Stufe gestellt“, kritisiert Péter Feldmájer, Vorsitzender der Ungarischen Jüdischen Gemeinden. Und einer der Initiatoren des Volksverhetzungsparagrafen, der sozialistische Abgeordnete Tamás Suchmann beklagt: Rechtsextreme bekämen Oberwasser und könnten „extreme rechte Meinungen vertreten, gegen die sich das gesamte zivilisierte Europa auflehnt“. Das Nein der Verfassungsrichter zum Volksverhetzungsparagrafen sei ein Freibrief für Antisemiten und Roma-Hasser, sagt Suchmanns Parteifreund Gergely Bárándy; auch er befürwortet das Gesetz gegen „Hassreden“. Denn ohne dieses Gesetz ist es möglich, „Juden und Roma öffentlich und ungestraft zu beleidigen“. Aber beide Politiker versprechen: Der Volksverhetzungsparagraf werde dem Parlament in Budapest immer wieder vorgelegt – „bis er durchkommt!“

Der Autor ist n-ost-Korrespondent in Budapest.

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