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Finnische West Side Story

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Tampere, dessen Theater heuer sein 60jähriges Jubiläum feiert, ist die zweitgrößte Stadt Finnlands. Im Repertoire dieses Theaters steht seit 1963 das amerikanische Musical „West Side Story“, dessen 150. Aufführung im Rahmen der Finnlandwoche im Theater an der Wien stattfand.

„West Side Story“ ist neben der unaufhaltsamen „My Fair Lady“ und der Shakespeare-Paraphrase „Kiss me Kate“ nicht nur das erfolgreichste, sondern auch das wertvollste und eigenartigste amerikanische Musical. Auf Anregung des Choreographen Jerome Robbins hat Arthur Laurents sich seit 1949 mit der Idee beschäftigt, den Romeo-und-Julia-Konflikt in ein zeitgenössisches amerikanisches Milieu zu transponieren. 1955 wurde Leonard Bernstein, der berühmte amerikanische Dirigent und beliebte Fernsehkommentator, als Komponist für das Projekt gewonnen, und man beschloß, die Handlung in den westlichen Teil New Yorks zu verlegen, wo sich zwei feindliche Jugendbanden gegenüberstehen: die aus puertorikanischen Immigranten bestehende Gruppe der „Haifische“ und die eingeborenen „Jets“. Zur einen Partei gehört Tony-Romeo, zur anderen Maria-Julias Bruder Ber-nardo-Tybalt. (Auch bei den Nebenaktionen und -personen gibt es Parallelen zu Shakespeares Stück, in dessen Mittelpunkt der Konflikt zwischen den Montagues und den Capulets steht.)

Nach zwei Jahren harter, schöpferischer Probenarbeit wurde „West Side Story“ im Herbst 1957 am Broadway uraufgeführt. Bereits ein Jahr später folgte die erste europäische Inszenierung: in Her Majesty's Theatre in London. Seither wurde das Stück ein Welterfolg.Verdientermaßen. Zumindest: begreiflicherweise. „West Side Story“ ist dramaturgisch gut gebaut. Die 14 Szenen sind abwechslungs- und handlungsreich. Bernsteins intellektuelle Musik strahlt Energie und kaltes Feuer aus. Was tut's, daß sie zuweilen recht unvermittelt ihre Modelle vertauscht und von Stra-winsky zu Gershwin überwechselt.

Acht Jahre nach der Uraufführung kam „West Side Story“ also auch nach Wien, als Gesamtgastspiel des „Tampereen Teatteri“. Das große, meist aus jungen Mitwirkenden bestehende Ensemble spielt diese Halbstarkengeschichte hart, laut, rasant und mit einer Selbstverständlichkeit, als wär's ein Stück von ihnen. Kaum einer der Akteure kann singen, kaum einer ist ein qualifizierter Tänzer. Und dennoch — und trotz der finnischen Sprache: die Sache macht Eindruck: durch ihre Echtheit und ihren einheitlichen Stil. Die Disziplin ist hervorragend. Trotzdem ist das Resultat der quasi gymnastischen Choreographie von Heikki Värtsi nicht Perfektion, sondern Tempo und Intensität. Fern von jedem Raffinement ist auch die musikalische Leitung Juhani Raiskinens, der die harten Bläserakkorde wie Maschinengewehrfeuer in den Saal knallen läßt. Der Schöpfer des zugleich nüchternen und atmosphärisch richtigen Bühnenbildes ist nicht genannt. Mit seinen Stangen, Treppen und Gittern könnte es von Wachs-mann stammen. Phantasie und Geschmack zeigte auch die Kostüm-zeichnerin Helena Tarkkanen. Von den einzelnen Mitwirkenden nennen wir niemanden: es sind bei uns unbekannte Namen, und es wäre nicht im Geist des jungen Teams, einzelne hervorzuheben. Viel Beifall.

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