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Kurt Weills weiter Weg

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Vor elf Jahren ist der Komponist der „Dreigroschenoper“, von „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“ und „Die Bürgschaft“ in New York gestorben. In der Zeit von 1935 bis 1950 hat er drüben insgesamt neun Opern geschrieben — neben zahlreichen Filmmusiken und anderen Gelegenheitsarbeiten. Dieses Opus ameri- canum haben wir in Wien bisher nur durch spärliche Kostproben und Fragmente kennengelernt. Daher sah man der vom Österreichischen Rundfunk angekündigten konzertanten Aufführung von „Lost in the Stars" mit Spannung entgegen. Mit besorgter Spannung freilich, denn was man von und über Weills Produktion während seiner letzten Periode gehört hatte, war nicht gerade vielversprechend. — Hier, in dieser Oper, manifestiert sich mit aller Deutlichkeit, welchen Weg der originelle Komponist der „Dreigroschenoper" gegangen ist. Die Akten hierüber können geschlossen werden.

Denn „L o s t i n t h e S t a r s“ ist nicht nur Weills letztes Werk, dessen Partitur er ein Jahr vor seinem Tod vollendete, sondern er selbst war von dieser Oper voll befriedigt, und nach der Uraufführung am Music Box Theatre in New York lief das Stück zweihundertdreiundsiebzigmal en suite, was auch am Broadway mit seinen phantastischen Aufführungszahlen einen eindeutigen Erfolg markiert. — Der berühmte und erfolgreiche Komponist fand auch in den USA berühmte und erfolgreiche Mitarbeiter. Den Text zu seiner letzten Oper schrieb ihm Maxwell Anderson nach einem Roman von Alan Paton.

Es geht in Buch und Oper um den Rassenkonflikt und die Idee der Toleranz, exemplifiziert an einem Negerpfarrer und einem weißen Farmer sowie an deren Söhnen. Absalom, der Sohn des menschenfreundlichen, bescheidenen und weisen Zulupriesters Stephen Kumalo, geht nach Johannesburg, in die Großstadt, wo er in schlechte Gesellschaft gerät, in einen Raubüberfall verwickelt wird und einen jungen Weißen tötet. Der Ermordete ist der Sohn des Farmers James Jarvis, und in seinem Nachlaß finden sich Schriften, in denen er Vorschläge für eine Neuordnung Südafrikas im Sinne der Rassenversöhnung macht. Der Mörder, dessen Schuld nicht eindeutig erwiesen ist, gesteht seine Tat und wird zum Tod verurteilt. In der Nacht vor der Hinrichtung g nšeitiiger Sympathį’ getragenen Ge--

sprach, das ihnen hilft, weiterzuleben, und das in dem Gelöbnis gipfelt, gemeinsam für eine bessere Welt der Toleranz zu kämpfen.

Ein bedeutender, zeitnaher Stoff also, mit einer positiven Tendenz, wie man f-ie in den früheren, noch in Europa geschriebenen Bühnenstücken Weills vergeblich suchen wird. Leider entspricht ihm die musikalische Gestaltung in keiner Weise. Weills musikalische Sprache hat in Amerika jede Eigenständigkeit verloren und ist zu einem farblosen Allerweltsidiom geworden, in dem sich Elemente von Lehär und Cole Porter mit Spirituals und kommerzialisiertem Jazz vermengen. Was auf diese Weise entsteht, ist Kinomusik. Am peinlichsten aber wirkt das Überwuchern jener Sentimentalität, die Weill früher so treffend zu karikieren verstand. Statt des verstimmten Klaviers (das Weill einst erfunden hat) und statt des trok- kenen Bläserklangs, der dem Dreigroschenorchester die charakteristische Note gab, dominieren jetzt Streicher und Harfe. Einzelne Instrumente treten kaum hervor, alles ist wie mit der gleichen Einheitssauce übergossen. Weill verwendet auch in dieser Oper (wie in seinen früheren Werken) einen Chor. Aber dieser ist nicht nur, wie es im Programmheft wohlwollend heißt, „im Sinne der griechischen Tragödie“ zur Kommentierung des Geschehens verwendet, sondern summt und säuselt auch häufig, wie im kitschigsten Tonfilm. Nur wenige Nummern erinnern an den alten Weill — und fallen gewissermaßen aus dem Rahmen: so der Song einer Negertänzerin und der vom Orchester mit Bandoneon begleitete rhythmische Chorsatz „Weit ist der Weg nach Johannesburg“.

Dem Österreichischen Rundfunk haben wir für eine ausgezeichnete, sorgfältig studierte Aufführung des Welkes zu danken, deren Initiator Dr. Marcel P r a w y war, der auch für die Rundfunk- bearbeitung und Spielleitung verantwortlich zeichnete. Joseph Rosenstock von der Metropolitan Opera New York ist ein ausgezeichneter Kenner des gesamten Weillschen Werkes und ein umsichtiger, präziser Dirigent. — Wie bei der Uraufführung am Broadway, wurden die Rollen der Weißen von weißen Sängern, die der Schwarzen von schwarzen gesungen. William Ray, Lukretia West und Olive Moorefield, Erich Majkut, Hans Hais ‘and Wolfgang Zimmer sind für ihre Soli ebenso hervorzuheben wie der wohlstudierte Rundfunkchor, Fred Liewehr als Erzähler und Dr. Hans Sachs als Funk- regisseur, (Vom österreichischen Rundfunk, wird Weills Oper am 21. Dezember in der Zeit vort 20 bis 22 Uhr im III. Programm gesendet werden.)

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