Im Jahr 1954, Tomas Tranströmer war dreiundzwanzig Jahre alt, war er in Schweden bereits ein gefeierter Dichter. Gerade hatte er mit dem schmalen Band "17 Gedichte" sein fulminantes Debüt abgelegt, das der zeitgenössischen Poesie neue Wege weisen sollte. Vor allem zeigte sich ein Talent, das offenbar keine lange Anlaufzeit brauchte. Früh hatte er einen Ton gefunden, der keinen Raum ließ für viele und schon gar nicht große Worte. Tranströmer verwendete eine Menge Zeit darauf, seine Gedichte zu entrümpeln, frei zu räumen vom Ballast eines bloß angemaßten Sinns. "Unbewusst hatte ich mir eine Wahrheit der Poesie angeeignet", sagte er einmal in einer Dankesrede mit Blick auf seine literarischen Anfänge, "die Stimmung verdichtet sich, wenn man zu wenig sagt." Er strebte eine Einfachheit an, die dennoch die Rätselhaftigkeit der Existenz nicht durch Auskunftsfreude relativieren sollte. Denn was den Menschen umtreibt, ihn bewegt, ihn im Innersten zusammenhält oder ihn zerbersten lässt, beschäftigte ihn, der nie ein Vielschreiber gewesen ist, bis zuletzt.
Selbstverständlich ist Tranströmers Zuwendung zur Poesie keineswegs. In seiner Kindheit und frühen Jugend fühlte er sich mehr zu Abenteuer und Naturwissenschaft hingezogen als zur Literatur. Damit entsprach er, 1931 geboren, dem Durchschnittsschweden seiner Zeit. "Ich lebte ja im Schweden des 20. Jahrhunderts, einer Gesellschaft, deren Wahrzeichen ja nicht die Leier, sondern die Harke war." Erst im Gymnasium kam er 1947 durch Klassenkameraden unfreiwillig mit moderner Lyrik in Berührung. Tatsächlich fing er bald Feuer. Vor allem durch die Lektüre von Peter Weiss wurde er auf die ungeheuren Möglichkeiten, mit Sprache noch nicht gesehene Welten erstehen zu lassen, aufmerksam. Im Rückblick auf seine eigene Entwicklung gelangt er zu folgender Einschätzung: "Man muss der Poesie misstrauen. Man muss von der Poesie hingerissen werden."
Am 26. März ist Tomas Tranströmer, der 2011 mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet wurde, drei Wochen vor seinem 84. Geburtstag in Stockholm gestorben. Vom Schreiben leben wollte er nicht. Er arbeitete als Psychologe in einer Anstalt für kriminelle Jugendliche und widmete sich seinem Schreiben ohne Druck. In seinem Gedicht "Nach dem Tod" heißt es: "Es ist immer noch schön, sein Herz klopfen zu spüren. / Aber manchmal ist der Schatten wirklicher als der Körper". Das nehmen wir jetzt einfach so, skeptisch und hingerissen gleichermaßen.
Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.
In Kürze startet hier der FURCHE-Navigator.
Steigen Sie ein in die Diskurse der Vergangenheit und entdecken Sie das Wesentliche für die Gegenwart. Zu jedem Artikel finden Sie weitere Beiträge, die den Blickwinkel inhaltlich erweitern und historisch vertiefen. Dafür digitalisieren wir die FURCHE zurück bis zum Gründungsjahr 1945 - wir beginnen mit dem gesamten Content der letzten 20 Jahre Entdecken Sie hier in Kürze Texte von FURCHE-Autorinnen und -Autoren wie Friedrich Heer, Thomas Bernhard, Hilde Spiel, Kardinal König, Hubert Feichtlbauer, Elfriede Jelinek oder Josef Hader!