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Ermittlungsergebnisse nach der Lektüre.

Krimis sind salonfähig geworden und stürmen die Bestsellerlisten. Was führt zum Erfolg? Vor allem die Erfindung einer langlebigen und interessanten Ermittlergestalt, eines Menschen mit Privatleben, das sich über die verschiedensten Fälle weiterentwickelt, den die Leser beim Erziehen seiner Kinder, mit seinen Ehe- oder sonstigen Beziehungskrisen erleben, der Ärger hat mit seinen Vorgesetzten und Schwierigkeiten mit seiner Gesundheit, der ungerechten Strukturen in Folge von Organisationsentwicklung zum Opfer fällt ... Ein Mensch wie du und ich eben, kein über alles erhabener Held. Oft sind die Ermittler auch noch in irgendeiner Weise privat involviert - sei es, dass sie die Täter kennen oder die Opfer, sei es, dass ihre Kinder selbst kriminell sind oder was auch immer. Das steigert die Spannung und gibt dem Leser Buch für Buch das Gefühl mit dabei zu sein. Ein wichtiges Erfolgsrezept.

Die Langlebigkeit kann Lesern und Autoren mit der Zeit auf den Nerv gehen: Wolf Haas hat seine Brenner-Krimis beendet, bevor das der Fall werden konnte, und Mankell seinen Ermittler Wallander in Pension geschickt. Donna Leon freilich blieb ihrem Commissario Brunetti treu, der in seinem mittlerweile elften Fall "Die dunkle Stunde der Serenissima" (Diogenes) weiter erfolgreich umtriebig in Venedig unterwegs ist und zu den wenigen seiner Art gehört, die über ein intaktes Privatleben verfügen, ja deren Ehepartner sogar auch noch mit ermittelt. In Kielwasser der Erfolge von Mankell schwimmen Flotten von anderen schwedischen Krimis: Arne Dahls Paul Hjelm-Krimis (zuletzt "Böses Blut", Piper) gehören dazu ebenso wie Ake Smedbergs Krimis (zuletzt "Verschollen", Goldmann), Hakan Nessers Kommissar Van Veeteren ("Die Tote vom Strand", btb; vom selben Autor "Kim Novak badete nie im See von Genezareth", btb) und Inspektorin Irene Huss, erschaffen von der Ärztin Helene Tursten (Tod im Pfarrhaus, btb). Sie kommen aus Nord und Süd, West und Ost: Die promovierte Juristin Marina Alexejeva, die unter dem Pseudonym Alexandra Marinina schreibt, schickt im zuletzt erschienenen "Der gestohlene Traum" (Argon) Anastasija Kamenskaja wieder in das Moskauer Geheimdienst- und Mafiadickicht, wo einiges unaufgeklärt bleibt. Den Madrider Dschungel durchkämmt Inspectora Petra Delicado, erfunden von Alicia Giménez-Bartlett ("Tote aus Papier", edition Lübbe).

Insgesamt, so scheint es, sind weibliche Ermittlerinnen auf dem Vormarsch: Weniger bekannt hierzulande vielleicht die Privatdetektivin Tamara Hayle, ein Geschöpf von Valerie Wilson Wesley, eine allein erziehende Schwarze, die in ihrem neuesten Fall "Off-Road-Kids" (Diogenes) in Atlantic City auf der Suche nach einem verschwundenen Mädchen ihre Frau steht. James Patterson erfand gleich einen ganzen "Club der Ermittlerinnen". Nicht immer legal, dafür umso erfolgreicher ist die Unterstützung der Inspektorin durch ihre Freundinnen: Pathologin, Reporterin und stellvertretende Staatsanwältin ("Der 1. Mord", Limes). Geballte Frauenpower also. Der Fall "Herzbube" von Gerichtsmedizinerin Kay Scarpetta, kreiert von Patricia Cornwell, wurde sogar als "Das fünfte Paar" (Hoffmann und Campe) wieder neu aufgelegt. In ihrem Gefolge überholen Medizinerinnen und Anthropologinnen die Polizeibeamtinnen. Vor allem Knochen scheinen in dieser Jahreshälfte Saison zu haben: Kathy Reichs Knochenexpertin Tempe Brennan erforscht in "Knochenlese" (Blessing) zu Beginn Massengräber in Guatemala, was mehr politische Brisanz verspricht als der Roman dann beinhaltet. Iris Johansens forensische Schädelrekonstrukteurin Eve Duncan stößt in "Knochenfunde" (List) auch auf einen politisch wirkenden Fall, die Identifizierung eines Toten soll verhindert werden. Krystyna Kuhns Anthropologin Franke verheddert sich im am wenigsten gelungenen Knochenroman "Die vierte Tochter" (Piper) sogar im österreichischen Sissi-Klischee.

Man sollte meinen, es gäbe genug Detektive, Kommissare, Gerichtsmediziner. Doch dieses Frühjahr ließ sogar eine Reihe von Debüts erblühen, allesamt im biografischen Umfeld der Autoren gepflanzt. Um nur einige zu nennen: die schwedische Ärztin Karin Wahlberg bringt in "Die falsche Spur" (btb) mit Veronika Lundborg-Westman eine Chirurgin mit interessanten Arbeitsverhältnissen, aber keinen sehr spannenden Krimi ins Rennen. Hans-Otto Thomashoff, Psychoanalytiker in Wien, siedelt Inspektor Federers ersten Fall "Keiner sah den anderen" (Piper) in der Wiener Opern- und Rumänischen Drogenwelt an. Burkhard Dreist, Autor und Schauspieler, lässt sich von seinem Wohnort Ibiza inspirieren und mit Toni Costa ermittelt ein zurückgekehrter Einheimischer auf der Insel der Reichen und Schönen ("Der rote Regen", Ullstein).

Krimis, so zeigt sich bei aller Unterschiedlichkeit, bedeuten im besten Fall auch Aufdeckung gesellschaftlicher Missstände. Batya Gur beleuchtet seit Jahren mit ihrem Inspektor Michael Ochajon die Zustände ihrer Heimat Israel, zuletzt in "Denn die Seele ist in deiner Hand" (Goldmann) die kulturelle Vielfalt der jüdischen Einwanderer mit all ihrer Störanfälligkeit. Die Schilderungen sozialer Umstände sind ihr dabei viel wichtiger als die Auflösung des Falles. Was für die Autorin spricht.

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