Bauchfrei-Debatte: Abschätzige Blicke ertragen lernen
Kleidet sich die Jugend zu freizügig? In unserer neuen Rubrik "Lass uns streiten!" dreht sich diese Woche alles um die Debatte rund um bauchfreie Tops in der Schule.
Kleidet sich die Jugend zu freizügig? In unserer neuen Rubrik "Lass uns streiten!" dreht sich diese Woche alles um die Debatte rund um bauchfreie Tops in der Schule.
Natürlich erstaunt auch mich das Outfit mancher Mädchen (sind wir ehrlich, es geht hier doch nur um Mädchen) – wenn der Rock gerade einmal die Pobacken verdeckt oder diese unter der Hotpants hemmungslos herausschauen. Und das Oberteil, so scheint es zuweilen, kann einigen nicht kurz und eng genug sein. Meine persönliche Meinung: Stilvoll geht anders. Freilich darf Kleidung figurbetont sein, aber mehr Klasse hat die, die nicht gleich alles zur Schau stellt. Das sehe ich heute so, mit Mitte 40 ...
Vor 30 Jahren hätte ich bei diesem Statement lediglich genervt mit den Augen gerollt. Zu Recht. Die Phase der Jugend ist da, um sich auszuprobieren, ja die Welt zu erobern. Wer das Bedürfnis hat, halbnackt durch die Gegend zu laufen, der sollte das tun dürfen. Ein Verbot seitens der Erwachsenenwelt ist doch absurd. Das Argument, freizügige Kleidung sei zu aufreizend, könne falsche Signale aussenden, hinkt in meinen Augen. Denn da müssen die Burschen – oder wer sich auch immer aufreizen lässt – einfach durch. Sie müssen lernen (und können es nicht früh genug!), dass das Erscheinungsbild eines Menschen, einer Frau, nichts darüber aussagt, ob dieser, diese Interesse an einem hat.
Das Argument des Respekts wiederum – der junge Mensch sollte sich anlassentsprechend kleiden – ist auch vermessen. Hier sind es doch wieder wir Erwachsenen, die definieren, was (dem Anlass) entspricht. Warum lassen wir es die jungen Leute nicht einfach selbst herausfinden, in welchem Outfit sie sich wo wohlfühlen? Wenn sie auf dem 80.Geburtstag der Oma nur leicht bekleidet auftauchen wollen, dann nur zu – die abschätzigen Blicke der Verwandtschaft müssen schließlich sie ertragen (lernen). Wenn es der entsprechende Jugendliche nicht sowieso genau darauf anlegt. Stichwort Reibung. Umgekehrt muss die Verwandtschaft ertragen, dass hier jemand aus der Reihe tanzt.
Der „Regelverstoß“ hat für die Jugend schließlich eine wichtige Funktion: Es ist jene der Identitätsfindung – und die geht zuweilen provokant und laut (also wenig bedeckt) vonstatten, sagen Jugendforscher und nennen das „Auseinandersetzung mit der Welt“. Schön ist das für keinen. Aber darum geht es nicht.
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