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Wenn ich so an die Jugend denke, so zwischen Zähneputzen und Morgenkaffee, dann denke ich meistens an eine „Jugendzeit", die ich nicht miterleben konnte, weil mich damals gerade das' Einmaleins und das Alphabet gelehrt wurde. Leider konnte ich es nicht einrichten, früher geboren zu werden.

Es war damals jene Zeit, von der ein Bekannter, heute 31, folgendes erzählt: „Ich ging damals aufs Gymnasium und hatte eine Menge Nebenjobs. Von dem Geld kaufte ich mir einen Recorder, solch ein Gerät hatte damals nicht jeder. Von da an sammelte ich Songs, so wie ich als kleiner Junge Winnetou-Bilder gesammelt hatte. Zum Beispiel Scott McKenzie: ,When you're going to San Francisco, be sure to wear some flowers in your hair. . .' San Francisco war damals unerreichbar für mich, aber ich beschloß lange Haare zu tragen und startete meine erste Rebellion gegen die Sonntagskleidung."

Wir reden natürlich oft über Musik, mein Bekannter und ich. Über „seine" Musik. Von den Beatles, Stones, Doors, von Janis Joplin und vielen anderen. „Die Geschichte meiner Jugend", so sagt er, „war zum größten Teil die Geschichte der damaligen Musik."

Wenn er meine Plattensammlung „durchblättert", höre ich ihn öfters sagen: „Alles Gruppen, die ich kenne. Ihr müßtet doch schon längst eure eigenen Musiker haben. Ihr solltet doch die Musik weiterentwickeln, und überhaupt, wir haben immer gewußt, was wir mit unserer Freizeit anfangen sollen." Dann geschieht es öfters, daß ich mich meiner eigenen Jugend schäme. (Das ist wohl das Schrecklichste, was einem passieren kann.)

Aber ich stehe nun einmal nicht auf

Boney M. und andere „Diskothekenhämmer", ihre Musik ist mir einfach zu unehrlich, da ist mir ein bißchen zuviel Geschäft dabei. Aber die Jugendlichen kaufen und kaufen - zwei Monate später verstaubt der „Hit" im Platten-schrank, die Plattenkonzerne lachen sich ins Fäustchen, amüsieren sich über die Jugendlichen, die sich wieder einmal für dumm verkaufen ließen.

In den Diskotheken wird Musik gespielt, Musik als Dampfwalze gegen Kommunikation, die im Dämmerlicht nur noch visuell stattfindet. Man schlängelt sich gekonnt durch Parfum-schwaden, vorbei an hundert versteckten Lippenstiften, vorbei an zahllosen Kosmetikspiegel-Gesichtern.

In den diversen Musikzeitschriften kann man lesen: „Hier wird eine völlig neue Lebensform aufgezeigt. Nicht nur fernsehen/Man kann tanzen und Musik hören, man redet wieder miteinander."

Kann man das wirklich? Miteinander reden?

Ich jedenfalls sehe nur die Monotonie, die heimliche Hektik. In solchen Läden investiert man ohne weiteres 50 Schilling - nach der üblichen Gesichtskontrolle. Denn - hier kommt nicht jeder rein. Hier herrscht Stil. Das Schönste bei meinen seltenen Diskothekenbesuchen sind zwei Worte: Bitte zahlen!

Mein Bekannter sagte einmal: „Die heutige Jugend denkt an alles andere als an Alternativen. Sie handelt angepaßt'. Sie sonnt sich im Urlaubsöl, kauft Stereoanlagen und Mopeds und -auch die Musik ist für sie nichts anderes als Konsum!"

Mit diesen Worten bringt er mich immer wieder auf die Palme. Und das Schrecklichste ist, daß ich - nach einigen Ausreden - eingestehen muß, daß er damit den Nagel auf den Kopf trifft.

Die heutige Jugend versteckt sich hinter ihrer Passivität und wird dadurch immer unselbständiger. Viele können sich ja nicht einmal ein Butterbrot aufstreichen! Sicher -jeder hat seinen kleinen Freundeskreis, man gibt Parties, Feste oder, wie man es auch nennen will, diskutiert mehr oder weniger über bestimmte Probleme, aber wo sind Aktivitäten? Wo ist etwas Handfestes?

Wer von uns kann schon sagen, daß er etwas auf die Beine gestellt hat, daß er sich aus der Masse von blökenden Schafen hervorgehoben hat? Wer? Sicher nicht viele.

Die Jugend ist grundsätzlich anrüchig, muß geformt und gezähmt werden. Sie erscheint nur als Problem auf der Bildfläche des gesellschaftlichen Bewußtseins. Als unbekömmliche Gruppe von Kriminellen, Rockern und Drogensüchtigen. Jugend trägt in dieser Gesellschaft den Fluch, nur als Problem wirklich präsent zu sein!

Die Jugend hat in unserer Gesellschaft nur eine Chance ernstgenommen zu werden, wenn sie einmal gemeinsam über sich selbst nachdenkt. Sich selbst Ziele setzt, bereit ist, Ungerechtigkeiten in Kauf zu nehmen, um dieses Ziel zu erreichen, sich nicht immer Meinungen vorsagen läßt, sondern selbst Meinungen bildet und diese immer und überall vertritt.

Es nützt nichts, wenn man sagt: „Mir ist fad - es müßte endlich etwas geschehen." Es nützt auch nichts, wenn man nur diskutiert, daß etwas geschehen muß. Aber es nützt, wenn man etwas geschehen läßt!

Wir alle sind „die Jugend" von heute. Und es sollte nicht passieren, daß wir uns einmal wegen unserer Jugend schämen müssen.

Darüber solltet ihr einmal nachdenken! Wenn nicht anders möglich, dann wenigstens in der Zeit zwischen Zähneputzen und Morgenkaffee.

Aus: „The Fleet Street Digest" (Herulia Stockerau)

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