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Die Anti-Maos

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Die Frau eines Peking-orientierten Kaufmanns in Hongkong — sie war eine Schulkollegin von Lin Dou-dou, der ältesten Tocher Lin-Piaos, hat Anfang September dieses Jahres Verwandte in Peking besucht. Lin Dou-dou, 30, aus der ersten Ehe Lin- Piaos, sagte ihrer rotkapitalistischen Freundin, daß die Geheimpolizei sie beschattete und sie deshalb in Gefahr sei.

Lin-Piaos Tochter erzählte, sie sei Ende August von der Geheimpolizei über den Verbleib ihres Vaters verhört worden. Danach, so der Behauptung dieser Kaufmannsfrau zufolge, sei der „vertraulichste Kampfgefährte“ Maos tatsächlich spurlos verschwunden. Lin Dou-dou meinte, falls ihr Vater verhaftet worden sei, würde er sicher hingerichtet werden.

In diesen Tagen verbreiten die maoistischen Zeitungen in Hongkong einen Bericht, wonach Lin-Piao sich derzeit zur Erholung im Bergluftkurort Luschan in der Provinz Kiangsi aufhält. Die antikommunistische Presse Hongkongs teilt die Meinung, daß dies nur ein künstlicher Nebel ist, um den „natürlichen Tod Lin-Piaos wegen Krankheit“ jederzeit publizieren zu können. Gerüchte über Gerüchte, Spekulationen über Spekulationen. Seit den „mysteriösen Ereignissen“ im September und Oktober reißen sie nicht mehr ab.

Was sind die Tatsachen? Wo ist Lin-Piao, der „intimste Kampfgefährte“ Maos?

Seit zwei Monaten sind insgesamt 38 Spitzenmilitärs Pekings von der Bildfläche verschwunden, davon gehören 22 Generäle der persönlichen Fraktion Lin-Piaos an. Unter den „Verschwundenen“ sind außer Lin-

Piao auch Huang Jung-scheng (Generalstabschef), Wu Fa-schiän (Oberbefehlshaber der Luftwaffe) und Li Tscho-peng (Politkommissar der Marine).

Sakunow, der Leiter von 36 weißrussischen Auswanderern, die Ende Oktober aus Sinkiang in Hongkong eintrafen, sagte aus, daß eine außergewöhnlich starke rotchinesische Militärkonzentration Mitte September im Raum Kuldscha in Nordwest - Sinkiang stattgefunden habe. Zu diesem Zeitpunkt ereignete sich auch das geheimnisvolle Flugzeugunglück (am 12. September) in der Äußeren Mongolei, wobei, nach Gerüchten Lin-Piao, Jeh-Tschün, Lin Dou-dou, Huang Jung-scheng, Wu Fa-schiän den Tod gefunden haben sollen.

Zur gleichen Zeit haben sich Tschu En-lai und Kissinger getroffen.

Die Sowjetunion hat seit einem Jahr ihren militärischen Druck auf Rotchina gelockert. War es die wahre Absicht Moskaus, die Lage zu entspannen? Oder wartete Moskau nur auf seine neben Mao eingesetzte Zeitbombe? Liu Schao-tschi war vielleicht eine davon. Nun stellt sich heraus, daß Lin-Piao ebenfalls eine russische Zeitbombe gewesen sein könnte.

1939 bis 1942 und 1951 bis 1953 ist

Lin-Piao zweimal lange Zeit in Rußland gewesen. Er galt als ein Mann Stalins. Auch in seiner Karriere war er mindestens sechsmal gegen Maos Politik auf getreten;

• Im August 1928 für Tschu-Teh und gegen Mao;

• 1935 während der Tschunji-Kon- ferenz inmitten des lartgen Marsches;

• 1939 wollte er Maos Befehl nicht folgen;

• 1936 war er mit Mao unzufrieden;

• 1951 wurde er wegen der Niederlage im Koreakrieg kaltgestellt;

• und 1954 kam er wegen der Kao- Kang-Affäre in anti-maoistischen Verdacht.

Was der Weltöffentlichkeit schließlich nicht bekannt wurde, war der Putschversuch, der sich schon am 25. Dezember vergangenen Jahres ereignet hat, als nämlich die Sonderkonferenz der höheren Funktionäre des f*ekinger Revo’lutionskomitees und des Kommandos des Pekinger Wehrkreises im Palast Tschungnan- hai einberufen wurde, um die Frage der „Neuordnung und Wiederherstellung der Partei“ zu beraten.

Insgesamt wurden mehr als

20 Personen niedergestreckt. Gleich danach wurde der Konferenzort von den Sicherheitstruppen umzingelt. Die Soldaten und Offiziere des Pekinger Wehrkreises, die als Wache eingesetzt waren, leisteten Widerstand. Bei dem Feuerwechsel wurden

21 Rebellen getötet und drei Personen verhaftet.

In Peking herrschte nach diesem ersten Putschversuch große Unruhe. Im allgemeinen war man der Meinung, daß die Rädelsführer dieses Überfalls die bereits gestürzten Generäle Jang Tscheng-wu, Fu Tschung-pi und Jü Li-tschin waren. Sie gehören nicht der Fraktion Lins an, sondern repräsentierten die lokalen Kriegsherrn. Zufälligerweise erholte sich Wen Jü-tscheng, der Kommandant des Pekinger Wehrkreises später auch im Sanatorium Luschan.

Keine Normalität

Nach Lins Sturz kommt nun Tschu En-lai, heute schon 74, nach 36 Jahren endlich zum Sieg. Mit seinem Sieg ist der „pro-amerikanische Flügel“ hochgekommen und die pro-sowjetische Fraktion“ unter Lin-Piao untergegangen.

Schü Schih-jou, der Kommandant der Nankinger Militärregion, wird neuer Verteidigungsminister.

Die Ereignisse bedeuten allerdings eines:

Das Festland Chinas ist nach der Kulturrevolution auf keinen Fall so „stabil und normal“ wie manche Leute gerne glauben möchten. Jeder rotchinesische Marschall und General kann offenbar antimaoistisch sein, wenn ihm eine Chance geboten wird und wenn es um seine eigene Position geht.

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