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Die Heimat ruft nicht

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Seit 1987 muß zum Stichwort „österreichische Literatur“ auch ein Name genannt werden, der hierzulande weitgehend unbekannt geblieben ist: Herbert Seikowitsch, geboren 1918 in Wien.

Kurzbiographie: Zweites Kind einer ärmlichen jüdischen Familie, begonnenes Germanistikstudium. 1938 Flucht nach Paris, dann nach Marokko, dort Internier ungslager bis 1942. Lernt seine spätere Frau Inge kennen, bleibt mit ihr in Marokko, Händler für

Textilmaschinen, Kleinunternehmer (unter anderem die erste Reißverschlußfabrik Afrikas). 1972 Ubersiedlung nach Monaco, Reisen. 1982 stirbt Inge. „Sie ist unersetzlich“, sagt Seikowitsch, der zurückgezogen lebt.

Sein bislang einziger Roman entstand in den Jahren 1947-1948 in Marokko: „Gestörte Kreise“. Die Erstausgabe erfolgte im Vorjahr bei Gallimard, Paris, in einer Ubersetzung ins Französische. Die Edition des Originaltextes steht noch aus.

„Gestörte Kreise“ spielt in einer

mitteleuropäischen Stadt, „vielleicht in Wien oder in Prag, oder auch in Budapest“ (am ehesten aber wahrscheinlich doch in Wien). Martin Svoboda ist Kassier in einem Textilgeschäft. Er läßt sich von einem entfernten Bekannten dazu erweichen, einen ihm unbekannten jungen Mann bei seinem Firmenchef, dem Juden Pick, für eine Stelle zu empfehlen. Der so Engagierte entpuppt sich aber als Dieb; der unsympathische Verkaufsleiter Kralik sorgt für die prompte Entlassung Svobodas. Seelisch tief verletzt, versucht Svoboda vergeblich in dem ihm vertraut gewordenen Haus wieder Fuß zu fassen. Der Chef bereut zwar seine vorschnell ausgesprochene Entlassung, hat aber gegen den geschickten Kralik, der sich einen Kundenstock aufgebaut hat und daher längst zur heimlichen Stütze des Geschäfts avanciert ist, keine Macht. Er glaubt auch, vor einer Situation, wie sie in Deutschland herrscht, sicher zu sein. Also vermittelt er Svoboda

eine Stelle bei Verwandten, die dieser schließlich annimmt.

Dort wird er, von einer momentanen Verwirrung gepackt, selber zum Dieb. Auf das Schlimmste gefaßt, erlebt er — nichts. Überrascht stellt er fest, daß er für seine Ehrlichkeit bestraft wurde, während die eigentliche schlechte Tat unbemerkt bleibt. Da gibt es für ihn, den Aufrechten, nur eine Lösung: Flucht! Und so verläßt Svoboda samt Frau und Sohn Europa — gerade rechtzeitig, bevor sein Land besetzt wird, und Kralik, der Oberkriminelle, über Pick triumphiert. (Das Wort „Nationalsozialismus“ fällt im Werk kein einziges Mal.)

Ehrlichkeit macht sich im Mitteleuropa der auslaufenden dreißiger Jahre eben nicht bezahlt. Das erfährt auch Pick, ein herzensguter Mensch, bar aller Händlerqualitäten, die doch Juden gerne nachgesagt wurden. Und das erfuhr auch Herbert Seikowitsch. Nun, da die Störung, die die Nazis in sein Leben gebracht haben, seinen Werdegang zum

Schriftsteller doch nur wesentlich verzögert, aber nicht verhindert hat, denkt der Autor bereits weiter.

Gegenwärtig arbeitet er an der Neufassung seiner Novellen, die Stefan Zweig schon 1939 bewundert hat. (Die Korrespondenz zwischen Zweig und Seikowitsch blieb 1938 in Wien zurück und ist seither verschollen.) Danach soll seine Autobiographie erscheinen und vielleicht noch ein zweiter Roman entstehen.

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