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Die Werte hinken nach

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Wenn das Scenario zutrifft, das Harvard-Professor Daniel Bell letzte Woche im Hernstein-Institut vor zwei Dutzend Managern entwickelte, dann ließe sich, was die technischen Möglichkeiten anlangt, die Orwellsche Horrorvision „1984“ fünf Jahre früher verwirklichen. Mikroprozessoren könnten schon heute die Steuerung und Überwachung' der meisten Lebensbereiche übernehmen.

Um die bereits vorhandenen technischen Möglichkeiten zu zeigen, haben die Wissenschafter des weltberühmten MIT (Massachusets Institute of Technology) ein funktionsfähiges automatisches Schuhgeschäft („auto shoe“) aufgestellt, in welchem dem Kunden in 20 Minuten ein Paar Schuhe nach seinen Wünschen (Farbe, Material, Design) ohne menschliches Zutun maßgefertigt wird.

In der nachindustriellen Gesellschaft Beils wird der an ein umfassendes Netzsystem angeschlossene Bildschirm Zeitungen, Büchereien und die Übermittlung von Schriftstücken durch die Post ersetzen und den Einkauf sowie die Bezahlung von zu Hause möglich machen. Bei der Produktion im weitesten Sinn wird die Bedeutung des Kapitals zugunsten des Wissens deutlich in den Hintergrund treten. Bedingt durch die Mikrotech-nologie werden Produktionsänderungen noch wesentlich rascher als bisher erfolgen können. Die erhöhten Anforderungen an die Flexibilität werden, so Bell, zur Dominanz der Klein- und Mittelbetriebe (allerdings amerikanischer Größenordnung) führen.

Was immer auch von der, hier nur stichwortartig skizzierbaren Projektion Beils (der ausschließlich der heute schon verfügbare technische Standard zugrunde hegt!) eintreten wird - in den bisherigen struktur- und handelspohtischen Überlegungen unserer Wirtschaftspolitiker hat es ebensowenig Platz gefunden wie die schon heute abschätzbaren großräumigen - Verschiebungen wirtschaftlicher Macht. Die kommende Wirtschaftsgroßmacht Mexiko (wie überhaupt der gesamte lateinamerikanische Raum) ist ebensowenig Gegenstand von Uber-legungen wie es vor Jahren China war. Mit dem Ergebnis, daß heute Österreich als einziger europäischer Industriestaat in Hongkong, dem Tor zu China, ohne eigene Firmenrepräsentanz ist (die Creditan-stalt und die Genossenschaftliche Zentralbank sind nur indirekt vertreten).

Und es fehlen auch alle Anzeichen dafür, daß sich außer ein paar „weltfremden“ Gelehrten irgend jemand mit den enormen psychologischen und soziologischen Problemen beschäftigt, die mit der postindustriellen Gesehschaft auf uns zukommen. In dieser Hinsicht dürften wir uns allerdings in guter Gesellschaft befinden: Die wiederholt gestellte Frage nach den menschlichen Werten der nachindustriellen Gesellschaft ließ Bell in Hernstein unbeantwortet.

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