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Guinness auf Reisen

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Die Reisesaison ist endgültig vorbei. Auch ziemlich der letzte Weltenbummler ist in die herbstlichen Gefilde Österreichs zurückgekehrt, die Erde hat ihn wieder. Bekanntlich ist eine Reise aber nicht mit der Heimkehr zu Ende, denn man muß ja erst dem staunenden Bekanntenkreis erzählen, wie großartig der Urlaub war.

Wenn jemand eine Reise tut, dann kann er was erzählen — das galt früher. Heute ändert sich ein einziges Wort: In unserem statistikverliebten Zeitalter heißt es von einem Reisenden eher — dann kann er etwas herzählen. Mit Zahlen überfüttert, kehrt er heim. Wer im Umgang mit Zahlen nicht sattelfest ist, wird die zahl-rei-chen Führungen durch Kirchen, Schlösser, Burgen und so fort kaum mit gesundem Verstand überstehen.

Im Schloßkeller des Herrschaftssitzes von Mittelkikerits-patschen lagert das mit soundsoviel Hektoliter Fassungsvermögen größte Faß des südlichen Württemberg, zwar ist das Faß im Nachbarort größer, doch wurde es nie ganz gefüllt.

Doch auch fünfzig Kilometer weiter nordwestlich wird das größte Faß des südlichen Württemberg gezeigt, denn das Faß von Mittelkikeritspatschen ist zwar größer, aber nicht mehr in Verwendung.

Dafür steht die größte Orgel von Südmittelbayern in X, die schwerste Glocke nördlich der Mainlinie vernimmt man andächtig in Y, und das größte westdeutsche Außenwandfresko des Mittelalters, das nachweislich nur von einem einzigen Meister gemalt wurde, bestaunt man schon leicht gequält in Z.

Doch nicht bloß deutsche Gründlichkeit serviert dem Kulturtouristen Kunst in Metern, Kilo und Sekunden. Die größte Kuppel der Campagne, der breiteste Flügelaltar der Ostschweiz, der schwerste Kelch der Gotik in der ganzen Obersteiermark, der höchste Kirchturm der Romanik in der Provence...

Motto: Mach Urlaub mit Guinness oder: Die Reise — ein Superlativ.

Heute ist ein Fremdenverkehrsort, der etwas auf sich hält, nicht bloß verpflichtet, die „Perle“ von irgendwo zu sein, nein — er muß schon über irgendeinen Superlativ verfügen, und sei er noch so lächerlich. Eine meßbare und zugleich unvergleichliche Einzigartigkeit muß her, um Kultur nach Quantitäten verkaufen zu können.

In Zeiten der Olympiade muß auch die Kultur an den Grundsatz: „Citius, altius, fortius“ glauben — sinnvollerweise konkurriert man aber besser mit Hilfe eines Superlativs, als bloß einen schäbigen Komperativ zu bemühen.

Fehlt nur noch, daß die Reisebüros ihre Reiseangebote mit der Zahl der verheißenen Superlative zieren. Dann brauchen die geplagten Touristen zu Hause nicht mehr er-zählen, sondern nur zählen oder, besser gesagt, eine Zahl nennen. So läßt sich am besten die Güteklasse eines Bildungsurlaubes bemessen. „Wie war's in der Toskana?“ „Danke, 13!“ „Und die Rhein-Mosel-Fahrt?“ „18.“

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