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In Tamsweg Uberhaupt Kein Facharzt

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FURCHE: Die Vorstellungen über die zukünftige Entwicklung des österreichischen Ärztebedarfes differieren neuerdings stark. Das Institut für Gesundheitswesen sieht den Ärztebedarf bei gleichbleibenden Promotionsziffern gedeckt, die Ärztekammer warnt vor einer Ärzteschwemme. Wie sehen Sie die Situation?

LEODOLTER: Es gibt in Österreich große Gebiete, die mit Ärzten unterversorgt sind — einerseits regional, wir haben ja 500 von der Sozialversicherung zur Verfügung gestellte Planstellen frei — anderseits aber fehlen uns auch Fachärzte. Wir haben keine oder zuwenige Psychiater, Kinderärzte, Urologen, Orthopäden, Hygieniker, Amtsärzte, Betriebsärzte, ganz abgesehen vom Ärztebedarf durch eine Menge Dinge, die wir neu eingeführt haben: die Vorsorgemedizin, die Schulmedizin müßte man ausbauen, die gesamte Mutter-Kind-Betreuung muß intensiviert werden. Schon deshalb, weil wir andernfalls hinter anderen Ländern, die uns auf diesen Gebieten voraus sind, noch mehr zurückbleiben würden. Ich glaube daher, daß wir niemanden davon abhalten sollten, Medizin zu studieren. Angebot und Nachfrage werden sich sicher einpendeln, augenblicklich ist ein besonderer Zustrom von Studenten zu verzeichnen, aber wir müssen ja auch mit den vielen Ärzten rechnen, die in den nächsten Jahren aus dem Beruf ausscheiden werden. Alle, die während des Krieges Medizin studiert haben, weil sie dadurch studieren konnten statt einzurücken, erreichen jetzt die Pensionsgrenze. Wir haben in den Praxen Ärzte mit 70 und mehr Jahren, von denen man wirklich nicht verlangen kann, daß sie immer neue Arbeitslasten auf sich nehmen. Es wäre also gefährlich, junge Menschen vom Medizinstudium abzuschrecken.

FURCHE: Also brauchen wir sogar einen höheren Ausstoß an fertigen Ärzten als bisher?

LEODOLTER: Ja, mehr als wir bisher gehabt haben. Aber wie das dann sein wird, weiß man nicht. Wie viele von den Anfängern fertig werden, kann man jetzt ja nicht sagen. Ich sehe eine Gefahr darin, daß man jetzt, weil seit ein oder zwei Jahren mehr junge Menschen Medizin studieren, diesen Leuten das ausreden will, indem man ihnen sagt, ihr werdet arbeitslos sein. Und das mit den Ausbildungsplätzen ist ja eine Organisationssache. Man kann nicht sagen, daß während des klinischen Studiums Plätze fehlen werden, wir haben soundso viele Spitäler, die — wie ja auch in Amerika — in die Ausbildung eingebunden sind, wo wir doppelt graduierte Leute haben, die ohne weiteres eine solche Ausbildung mit für die Studierenden machen könnten ...

FURCHE: Was heißt das? Ist das ein neuer Plan?

LEODOLTER: Das ist ein neuer Plan. Man ventiliert ihn auf Seiten der Hochschule, man bereitet sich ja darauf vor, was sein wird, wenn die Leute in diese Semester kommen. Wenn die neue Studienordnung zum Tragen kommt, müßte das dann passen.

FURCHE: Wie ist der Ist-Stand der Versorgung der österreichischen Bevölkerung mit Ärzten?

LEODOLTER: Österreich steht mit einem Arzt auf 583 Einwohner an fünfter Stelle der Weltrangliste. Betrachtet man nun aber die Versorgung mit praktischen Ärzten, so hat 1974 ein niedergelassener Praktiker 1750 Einwohner zu versorgen. Auf einen Kassenarzt aber kommen schon, weil ja nicht alle die Arbeiterund Angestelltenkasse . haben, 2200 Einwohner. Die gute Arztdichte darf also nicht über die Schwächen der ärztlichen Versorgung hinwegtäuschen. 52 Prozent der praktischen Ärzte sind über 55 Jahre alt. Aber die Arztdichte allein sagt nichts. In Tamsweg etwa gibt es überhaupt keine Fachärzte, da müssen die Leute mit einem Sonderautobus über die Tauern zur Untersuchung fahren.

FURCHE: Man kann also von einer besonders schlechten regionalen Verteilung sprechen?

LEODOLTER: Das kann man ohne weiteres sagen.

FURCHE: Wie ist es dazu gekommen?

LEODOLTER: Weil das halt nicht wirklich geregelt war, weil das wild gewachsen ist.

FURCHE: Wieso ist es in anderen Ländern besser?

LEODOLTER: Das ist schwer zu sagen, sicher spielt die österreichische Geographie dabei eine Rolle. Ein echtes Problem ist dabei die Spitalsstruktur.

FURCHE: Glauben Sie, daß der Ärztestand eine zu hohe Zahl von Ärzten fürchtet?

LEODOLTER: Ich glaube, daß die Ärzte gerne eine gewisse Entlastung hätten. Die Warnungen mögen auf einer echten Angst vor einem Ärzteüberschuß beruhen, aber ich kann das nicht verstehen.

FURCHE:: Gibt es Überlegungen, wie das Interesse der werdenden Ärzte auf die unterversorgten Spezialgebiete gelenkt werden könnte?

LEODOLTER: Wir überlegen uns das hier im Ministerium und beabsichtigen, die Studierenden über den Nachfragestand auf den einzelnen Fachgebieten zu informieren. Vor allem wohl in den letzten Semestern ihres Studiums.

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