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Mehr Schutz für Ungeborene

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Etwas mehr als 20 Jahre nach der Legalisierung der Abtreibung in Großbritannien durch den „Abortion Act“ von 1967 hat der liberale Abgeordnete David Alton einen in diesem Ausmaß überraschenden Sieg für die Anti-Abtreibungs-Lobby errungen.

Nach einer intensiven und emotionellen Debatte in Westminster errang Alton eine Mehrheit von 45 Stimmen für seinen Antrag, das Höchstlimit des Schwangerschaftsabbruchs von 28 auf 18 Wochen herabzusetzen.

Die Gesellschaft zum Schutz des Lebens von Ungeborenen triumphiert im Angesicht des Ergebnisses: „Heute haben wir gesehen, wie Tatsachen und Mitgefühl über Entstellung und Geiz den Sieg davongetragen haben.“

Aber ein neues Gesetz ist damit noch lange nicht gegeben. Alton, ein praktizierender Katholik, hat seine Bereitschaft gezeigt, im Stadium der Prüfung durch die verschiedenen Parlamentskomitees flexibel zu sein. Damit erreichte er im übrigen die Zustimmung mancher schwankender Mitabgeordneter von beiden Seiten des politischen Spektrums.

Und damit soll auch verhindert Werden, daß der Antrag dasselbe Geschick erleidet, wie zwölf gescheiterte Versuche in der 20jährigen Geschichte des Gesetzes, dessen Architekt seinerzeit der jetzige Führer der Liberalen, David Steel, gewesen ist.

Die meisten sind für eine Senkung der Obergrenze, aber nicht so weit, wie Alton dies erstrebt. Die größten Aussichten liegen bei 22 Wochen, oder gar bei 24, wie es von Prerm^rministerin Margret Thatcher befürwortet wird.

Altons persönlicher Änderungsantrag zum .Abortion Act“ ist von einer lebhaften Kampagne für und wider begleitet gewesen. Die Befürworter forderten ein Ende des „geheimen Holokaust“ an Babys. Die Verteidiger der gültigen Gesetzgebung warnten vor einer Rückkehr zur „Abtreibung im Hinterhof“ und stellten sich vor das Recht der Frau, zu entscheiden, was mit ihrer Leibesfrucht geschieht.

Sie stritten für das Recht der Mütter, die—erst zu einem späteren Zeitpunkt feststellbare -Schwangerschaft mit einem schwergeschädigten Embryo abbrechen zu lassen - was Alton sarkastisch eine „Qualitätskontrolle“ durch die Kürette des Arztes nennt.

Des weiteren wurde von jenen, die das Banner der Abtreibung bis zur 28. Woche hochhalten, darauf verwiesen, daß 1986 „ohnedies nur“ 8.270 der insgesamt 172.000 Schwangerschaftsabbrüche nach der 18. Woche vorgenommen worden seien.

Diese Auseinandersetzung zog sich in der Parlamentsdebatte weiter. Ein 18 Wochen alter Fötus sei, so Alton, mehr als ein „Stück Gewebe“ oder ein „Klumpen von Gelee“. Er sprach von der „Unmoral“, einem gefühlsfähigen, schmerz- und lichtempfindlichen Wesen das Leben zu nehmen.

Der liberale Abgeordnete hat in Westminster und schon vorher den britischen Bürgern gesagt, was mit einem durchaus lebensfähigen Fötus bei fortgeschrittener Schwangerschaft geschieht: Zerbrechen des Schädels und der Wirbelsäule, Entfernung des Körpers Stück für Stück, jedes einzelne wieder von einer Schwester zusammengesetzt, um das Zurückbleiben eines Teils und damit eine Infektion der Mutter zu verhindern.

Großbritanniens gültiges Abtreibungsgesetz ist das freizügigste der Welt. In der Bundesrepublik Deutschland, in Frankreich und in den USA, sogar in der Sowjetunion ist der Abbruch der Schwangerschaft nur bis zur zwölften Woche erlaubt.

In der Debatte wurde Alton Kriminalisierung“ von Frauen vorgeworfen, die nach der 18. Woche noch einen Eingriff wollen. Ihn traf das Argument, daß er zu wissen vorgebe, was die Erziehung von .geschädigten Kindern für Eltern bedeute.

Er weiß es nämlich sehr wohl, hat er doch einen Gutteil seines Lebens mit der Pflege von mongo-loiden oder geistig zurückgebliebenen Menschen verbracht. „Warum sollten Behinderte kein Recht auf Leben haben?“ fragte Alton.

Auch sie seien imstande, ein vollmenschliches und erfülltes Leben zu führen. Bei dieser Frage Altons dachte wohl jedermann an den Krüppel Christy Nolan, ein erst vor wenigen Wochen preisgekrönter Schriftsteller, der—unfähig zu reden oder zu schreiben — sein Meisterwerk via Tastsinn und Computer zu Papier gebracht hat.

David Altons Chancen, den in zweiter Lesung gebilligten Antrag durch beide Häuser zu bringen, wird noch durch eine andere Tatsache erschwert: ein älteres Gesetz, der „Infant Life Act“ von 1929, stellt ein menschliches Wesen erst ab der 28. Woche nach der Zeugung unter den vollen Schutz des Gesetzes. .

Im Oberhaus soll diese Grenze vorerst auf 24 Wochen gesenkt werden.

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