Dieser FURCHE-Text wurde automatisiert gescannt und aufbereitet. Der Inhalt ist von uns digital noch nicht redigiert. Verzeihen Sie etwaige Fehler - wir arbeiten daran.
Vitracs „Victor”
Wo Jarry anfing und Artaud fortsetzte, ließ sich Roger Vitrac nieder und schrieb sein bürgerliches Schauspiel „Victor oder Die Kinder an der Macht”, das er mit allem, was Freud gut und teuer war, ausstattete und mit surrealistischen Vorstellungen durchwdrkte, schwarzes Theater, das nicht unbedingt ins Schwarze trifft, auch wenn’s Jean Anouilh zum Gebrauch einrichtete, den die Klagenfurter Bühne davon gekonnt und provozierend machte. Den jugoslawischen Gastregisseur Zarko Petan, in solchen Bereichen versiert, hatte man eingeladen, sich dieses neunjährigen Victor anzunehmen, der am Geburtstag am Bauchweh der Erkenntnis stirbt und vorher in Bosheit alles so gründlich verwirrt, daß es nur noch tragisch und als „Drama” enden kann. Er und die sechsjährige Esther spielen „Papa und Mama” und stellen mit Erlauschtem die Eltern und ihre Schuld bloß. Die zur Macht gekommenen Kinder machen die Ohnmacht der Erwachsenen kund, heben ihnen die Röcke und zeigen die Wurmstichigkeit dieser Typen aus Feydeaus Farcen und Schwänken, über die sich mit Erscheinen eines weiblichen „Todesengels” zwar nicht der Hauch der Verwesung, dafür aber der Geruch des an Blähungen leidenden Helden lagert. Nacht über diesem Bürgertum, das im Selbstmord endet: Der patriotische Hahnrei Magneau erhängt sich, sein ehebrecherischer Freund und dessen Frau nehmen die blauen Bohnen des Revolvers zu sich. Und Victor? Der hängt zuletzt nur mit einem Lendenschurz versehen als „Gekreuzigter” am Kopfende des Bettes und stirbt, womit er beweist, daß auch ein sehr guter und versierter Regisseur, der sein Team zu führen weiß, nicht davor gefeit ist, blasphemische Akzente zu setzen. Als Aufführung bestand das ungute Stück, dem Matthias Kralj einen angemessenen Rahmen gegeben hatte, in Ehren, als Gabe für die Abonnenten war es entschieden fehl am Platz: Man hatte aus der Not, zeitgerecht nichts Passendes zur Verfügung zu haben, eine Untugend gemacht, nach „Victor” zu greifen, der nur Studiobesuchem zumutbar wäre. In der Titelrolle zeigte Hermann Faltis offensichtlich Freude, mit 1,80 m den Neunjährigen zu spielen, dem er den vom Autor gewünschten grotesken Umriß gab; übertroffen allerdings wurde Victor von Esther, für die Gunda König eine Glanzleistung bereit hatte. Aus dem in exakter Choreographie (Eric J. Pflüger) agierenden Ensemble ragten Annemarie Schüler (Lili) und die Herren Ernst Soelden (Magneau) und Fritz Bittner (General Lonsėgur) heraus.
Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.
In Kürze startet hier der FURCHE-Navigator.
Steigen Sie ein in die Diskurse der Vergangenheit und entdecken Sie das Wesentliche für die Gegenwart. Zu jedem Artikel finden Sie weitere Beiträge, die den Blickwinkel inhaltlich erweitern und historisch vertiefen. Dafür digitalisieren wir die FURCHE zurück bis zum Gründungsjahr 1945 - wir beginnen mit dem gesamten Content der letzten 20 Jahre Entdecken Sie hier in Kürze Texte von FURCHE-Autorinnen und -Autoren wie Friedrich Heer, Thomas Bernhard, Hilde Spiel, Kardinal König, Hubert Feichtlbauer, Elfriede Jelinek oder Josef Hader!