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Es gibt Zeiten im Leben, da werden wir von brisanten Themen buchstäblich eingekreist -sie fordern eine persönliche Gewissenserforschung. Für mich heißt die heikle Frage derzeit: Wie bin ich in meinem Journalistenleben mit der Wahrheit umgegangen -und mit ihrer kleinen, aber unartigen Stiefschwester, der Übertreibung? Habe ich unter Erfolgsdruck (und im Vertrauen, in der Außenpolitik recht unkontrolliert unterwegs zu sein) manche Ereignisse dramatisiert und zugespitzt; manches Erlebnis zu sehr mit Fantasie gewürzt? Aktuelle Gründe zur Nachdenklichkeit gibt es genug:

Da ist der Fall des Spiegel-Reporters Claas Relotius, der - wie man jetzt weiß - seine Reportagen trotz aller redaktionellen Prüfinstanzen mit erfundenen Personen und Geschichten angereichert hat.

Da sind die eben erschienenen Memoiren des legendären US-Aufdeckers Seymour M. Hersh ("Reporter", Ecowin-Verlag), der nahezu alle kriminellen Machenschaften amerikanischer Politik enthüllt hat -auch unter Zuhilfenahme mancher Täuschung und Zuspitzung.

Da ist die weltweite Schmährede gegen "Lügenpresse" und "Fake News", die derzeit viel Grundvertrauen in die Medien untergräbt -und die gerade aus jener Ecke laut wird, aus der die Mehrzahl politischer Unwahrheiten kommt.

Und da ist sicher auch die eigene Neigung, den Journalismus "meiner Zeit" zu verklären. Chefs wie Hugo Portisch haben uns damals noch gelehrt, jede Meldung vor Erscheinen möglichst dreifach zu überprüfen; im Zweifel immer für den Beschuldigten zu sein -und keinen Text ohne "Gegenlesen" zum Druck zu geben.

Schmeichelei und Vereinnahmung

Mein selbstkritischer Blick zurück lässt trotzdem wenig Zweifel: Da waren - über Jahrzehnte hinweg -auch politische Meinungen und Urteile, die sich später als falsch erwiesen haben. Da waren persönliche Gefühle und Sympathien, die es mir schwer gemacht haben, objektiv zu sein. Da war der mühsame Abwehrkampf gegen Schmeichelei und Vereinnahmung. Und da war ein Zeitdruck, verstärkt durch das Fehlen technischer Hilfsmittel von heute, die manchen Bericht erzwungen haben, noch ehe ein Ereignis überhaupt begonnen hatte.

Eine strahlend weiße Weste sieht vermutlich anders aus.

Was zu "meiner Zeit" aber noch leichter möglich war: Journalismus als eine Aufgabe zu verstehen, deren Zweck es nicht war und sein durfte, Interviewpartner "vorzuführen". Egal ob Arafat, Gaddafi oder andere underdogs der internationalen Politik: Sie durften noch sagen, was ihnen wichtig war. Und wenn sie es ungeschickt, in schlechtem Englisch oder gegen unseren Zeitgeist taten -ich habe versucht, sie verständlich zu machen. Und dafür bisweilen ihr wörtliches Zitat geopfert. Vermutlich auch das eine Manipulation -und unerlaubt.

Genützt hat es ihnen wenig. Die Großmacht-Interessen und ihre Nachrichten-Monopole -sie waren schon damals weit stärker.

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